Frauen aus dem ganzen Land strömen heute ins Bundeshaus. Von der 17- bis zur 82-Jährigen, solche mit und solche ohne Schweizer Pass. 200 von ihnen sind in einer Online-Wahl gekürt worden. Die wenigsten haben bereits Erfahrungen als Politikerin. Die Organisatorinnen – mehrere Frauenverbände unter der Leitung des Dachverbandes Alliance f – wollen so die weibliche Bevölkerung möglichst repräsentativ abbilden und ihren Stimmen Gehör verschaffen. Vier Bundesratsmitglieder machen den Frauen während der Session ihre Aufwartung: Alain Berset, Karin Keller-Sutter, Simonetta Sommaruga und Viola Amherd.
Breite Palette an Themen
Eineinhalb Tage lang beraten die 246 Frauen über Themen, die sie in Kommissionssitzungen vorbesprochen haben – sehr ähnlich, wie es jeweils im offiziellen eidgenössischen Parlament abläuft. Unter den Forderungen, über die sie abstimmen, sind zum Beispiel: Kinderbetreuungsplätze verbilligen, Erziehungsarbeit auch in der Pensionskasse berücksichtigen, Standards für nicht-sexistische Algorithmen in die Strategie «Digitale Schweiz» aufnehmen, die Individualbesteuerung einführen oder 0.1 Prozent des Bruttoinlandprodukts investieren gegen geschlechtsspezifische Gewalt.
«Gleichstellungsthemen sind nicht linke Themen. Es sind ungelöste Gesellschaftsfragen», sagt Maya Graf, Co-Präsidentin von Alliance f auf die Frage, ob die Frauensession wirklich repräsentativ sei für die Anliegen der Frauen. Am Ende der Session werden die Forderungen dem Parlament und dem Bundesrat überreicht. So soll politisch Druck gemacht werden. Gleichzeitig soll diese Session Frauen für Politik begeistern und untereinander vernetzen.
Erst die zweite Frauensession
Die Frauensession hat historischen Charakter – es ist erst die zweite überhaupt. Die erste fand vor 30 Jahren statt, im Rahmen der Feierlichkeiten zum 700. Geburtstag der Schweiz. Sie sollte die Leistungen der politischen Pionierinnen würdigen – zwanzig Jahre nach Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts. Zudem sollte sie die Vernetzung unter Frauen fördern und neue Impulse geben zu Gleichstellungsthemen.
Die damalige Initiantin, die ehemalige Grünen-Nationalrätin Monika Stocker, erinnert sich: «In diesen Saal zu blicken voller Frauen – alten, jungen, schrägen, schön gekleideten, flippigen – das war eine solche Lebendigkeit und Kraft. Diese Erfahrung hat mich geprägt.»
Historikerin Fabienne Amlinger von der Universität Bern sagt, die erste Frauensession sei ein wichtiger Auftakt gewesen. Nur wenige Monate später fand der erste schweizweite Frauenstreik statt. Amlinger: «Der Frauenstreik war auf der Strasse sehr visibel, nochmals zwei Jahre später kam es zum Brunner-Skandal, der wiederum wahnsinnig viele Frauen mobilisiert hat. Es war ein feministisch sehr bewegtes Jahrzehnt, das seinen Anfang genommen hat mit der Frauensession.»
Der Schulterschluss der Frauen habe auch zu konkreten Gesetzesänderungen geführt, sagt Monika Stocker: «Da ist zum Beispiel viel in die zehnte AHV-Revision eingeflossen. Die Erziehungsgutschrift wurde da schon zugrunde gelegt.» Bei gleichstellungspolitischen Anliegen spielten bürgerliche Frauen eine wichtige Rolle, erklärt Historikerin Amlinger: «Linke Männer stimmten eher dafür, Bürgerliche eher nicht. Deswegen kam es wirklich auf jede Stimme von bürgerlichen Frauen an.»
Inwiefern auch die Frauensession, die heute beginnt, prägend sein wird, wird sich erst in der Rückschau weisen.