Im Verhältnis zu anderen Städten wie London, Paris oder Berlin ist Zürich winzig – ein Dorf. Und doch wollte auch Zürich immer ein bisschen Metropole sein. In den 1970er-Jahren wurde dies auf die Spitze getrieben. Mit dem Bau einer U-Bahn wollte Zürich zu anderen Grossstädten aufschliessen.
Zürich kämpfte nach dem Zweiten Weltkrieg mit demselben Problem wie viele andere Städte auf der Welt. Mit der wachsenden Bevölkerung nahm auch das Mobilitätsbedürfnis zu. Ein neues Massenverkehrsmittel musste her.
Aber eines, das dem Autoverkehr möglichst nicht in die Quere kam. «Man versuchte alles, damit Autos ungehindert in die Innenstädte fahren können», sagt Philippe Koch, Professor für Stadtpolitik an der ZHAW.
«In Genf, Lausanne, Basel oder Luzern wurden Strassenbahnen deswegen sogar zurückgebaut.» Und in Zürich gab es zuerst Pläne, das Tram unter den Boden zu verlegen. Als diese Anfang der 1960er-Jahre scheiterten, kam die U-Bahn aufs Tapet.
U-Bahn als Symbol für erfolgreiche Städte
Die Stadtplaner von Zürich orientierten sich dabei an Vorbildern im Ausland. Insbesondere auch an Städten in Deutschland, die eine ähnliche Grösse hatten und eine U-Bahn bauten: München, Frankfurt oder Mailand. «U-Bahnen galten in den 1960er-Jahren als Symbol für wirtschaftlich erfolgreiche Städte», sagt Philippe Koch von der ZHAW. Und zu diesem Kreis wollte auch Zürich dazugehören.
Geplant war ein Streckennetz von 28 Kilometern, knapp die Hälfte davon hätte unterirdisch verlaufen sollen. Zwei Äste waren vorgesehen: vom Zürcher Hauptbahnhof aus ins Limmattal nach Dietikon und ins Glatttal bis zum Flughafen. Die Kosten hätten sich auf rund 1.8 Milliarden Franken belaufen. Daran beteiligt hätten sich der Bund, der Kanton und die Stadt Zürich.
Doch nicht nur die Kosten waren astronomisch hoch, auch sonst waren die U-Bahn-Pläne offensichtlich eine Schuhnummer zu gross. In den 1970er-Jahren wichen Wachstumsgelüste einer immer stärker werdenden wachstumskritischen Stimmung in der Schweiz.
Dies machten sich auch die Sozialdemokraten zunutze. Die SP, die den Ausbau des öffentlichen Verkehrs eigentlich unterstützte, kämpfte an vorderster Front gegen die Zürcher U-Bahn, mit Erfolg.
Die Stimmbevölkerung im Kanton Zürich schickte das Megaprojekt am 20. Mai 1973 bachab – mit 57 Prozent Nein-Stimmen. In der Stadt Zürich sagten sogar 71 Prozent Nein zum Milliardenkredit für die U-Bahn.
Gründe für die Ablehnung habe es verschiedene gegeben, sagt Philippe Koch. «Besonders gross war die Befürchtung, dass mit der U-Bahn die Wohnungspreise weiter steigen könnten, dass bestehende Bauten abgerissen werden müssen und die Bevölkerung aus der Stadt verdrängt wird.»
Die Ablehnung war auch eine Niederlage für den damaligen Projektleiter der Stadtzürcher Verkehrsbetriebe. Horst Schaffer wurde damals extra von Wien nach Zürich geholt, um das Zürcher U-Bahn-Projekt aufzugleisen.
«Natürlich hat mich das persönlich getroffen.» Aus heutiger Sicht sei das Nein damals aber richtig gewesen. «Es war die Geburtsstunde eines Verkehrssystems, das heute international bewundert wird.»
Gebaut wurde die U-Bahn zwar nie und doch haben die Pläne von damals Spuren hinterlassen. Das wohl auffälligste Überbleibsel der Zürcher U-Bahn-Träume ist ein Tunnel zwischen dem Zürcher Milchbuck und Schwamendingen.
Dieser ist zweieinhalb Kilometer lang und wurde bereits vor der Abstimmung 1973 gebaut. Nach dem Nein der Stimmbevölkerung blieb der Tunnel vorerst ein Jahrzehnt lang ungenutzt.
Viel zu lange Perrons fürs «Züri-Tram»
«Wir haben uns schon überlegt, ob wir Pilze im Tunnel anbauen sollen», witzelt Horst Schaffer, damals Projektleiter der U-Bahn-Pläne in Zürich. Doch dann habe man schnell gemerkt, dass man den Tunnel auch fürs Tram nutzen könnte. Seit Mitte der 1980er-Jahre tauchen deshalb die Tramlinien 7 und 9 zwischen Milchbuck und Schwamendingerplatz unter den Boden – und mutieren zur kleinen Untergrundbahn.
Dass der heutige Tram-Tunnel eigentlich für die U-Bahn geplant war, erkennt man noch immer. Fahren die Trams auf den Zürcher Strassen normalerweise rechts, wie die Autos, gilt im Tram-Tunnel Linksverkehr. Denn im Gegensatz zu den geplanten U-Bahn-Zügen haben die Trams in Zürich ihre Türen nur auf der rechten Seite.
Auffällig sind ausserdem die Perrons in den unterirdischen Stationen. Diese sind viel zu lang gebaut. «Die U-Bahn-Züge wären natürlich deutlich länger gewesen», sagt der ehemalige Projektleiter Horst Schaffer. Eine Stationslänge von mindestens 130 Metern wäre nötig gewesen. Da geht ein Züri-Tram mit höchstens 43 Metern Länge geradezu unter.
«Nun muss man halt etwas längere Wege zu Fuss in Kauf nehmen», witzelt Schaffer. Doch dieser Tram-Tunnel sei im Nachhinein betrachtet ein Glückstreffer. Denn hier müssen die Tram-Pilotinnen und -Piloten keine Rücksicht nehmen auf Autos, Velos oder Fussgängerinnen und Fussgänger. Es sind die Vorteile einer Bahn unter dem Boden. Die haben auch die Berner für sich entdeckt. Und zwar noch vor den Zürchern.
Berner waren schneller als Zürcher
Die Berner waren es nämlich, die den ersten unterirdischen Bahnhof in der Schweiz gebaut hatten. 1965 wurde der Tiefenbahnhof der heutigen RBS (Regionalverkehr Bern-Solothurn) eröffnet. «Es war der einzige Ausweg, das Platzproblem zu lösen», sagt RBS-Betriebshistoriker Jürg Aeschlimann.
Zuvor fuhren die Züge noch direkt auf den Berner Bahnhofplatz. Als die Frequenzen der Bahn nach dem Zweiten Weltkrieg massiv ausgebaut wurden, wurde es aber zu eng. «Wir konnten nicht mit längeren Zügen auf den Bahnhofplatz fahren», so Aeschlimann.
Einige Jahre später wurden dann auch noch ein weiterer Teil der Strecke zwischen Bern und Worblaufen unter die Strasse verlegt. Und der kleine Traum einer Berner U-Bahn war perfekt.
Die Strecke wurde damals sogar als Métro vermarktet, sagt RBS-Betriebshistoriker Aeschlimann. «Nicht nur die Stationen habe man mit Métro angeschrieben, das RBS-Verwaltungsgebäude in Worblaufen heisst heute noch Métro-Haus.»
Und noch heute vermittelt die Strecke der RBS richtiges U-Bahn-Feeling. Die Bahnhöfe Bern-Tiefenau und Bern-Felsenau, einige Kilometer vor dem Berner Hauptbahnhof, sind ganz oder teilweise unterirdisch gebaut.
Und die Berner hegen bereits Pläne, weiter im Untergrund zu bohren. Seit den 1990er-Jahren bereits geistert die Idee eine «Métro Nord Süd» herum. Die RBS-Strecke würde dann nicht im Bahnhof Bern enden, sondern unterirdisch weiter nach Süden, Richtung Köniz verlängert werden. Bis jetzt ist das aber nur eine Idee geblieben. Und somit bleibt Lausanne vorerst die einzige Stadt in der Schweiz, die eine «richtige» Métro hat.
Die einzige «echte» Schweizer Métro
Die Lausanner «M2» ist nicht nur die erste U-Bahn der Schweiz. Sie ist zugleich auch die steilste und kleinste Métro der Welt. Die sechs Kilometer lange Strecke verbindet die Lausanner Quartiere Ouchy und Epalinges. Etwa die Hälfte der Strecke verläuft unterirdisch. Die Métro verkehrt vollständig automatisch und ferngesteuert.
Die Métro Lausanne ist historisch gewachsen. Zuerst war es eine Standseilbahn, mit welcher Waren vom See in die Lagerhallen von Lausanne transportiert wurden. Später wurde daraus eine Zahnradbahn, die dann 2008 von der neuen Métro «M2» abgelöst wurde.
Dank der Métro konnten die Kapazitäten im öffentlichen Verkehr von Lausanne massiv gesteigert werden. Doch auch die Métro mag die wachsenden Passagierzahlen nicht mehr schlucken. Geplant wurde sie für 25 Millionen Passagiere pro Jahr. Ihre Kapazitätsgrenze wurde mit 28 Millionen im Jahr 2014 bereits übertroffen. Und die Fahrgastzahlen dürften weiter steigen.
Ausbau in der Romandie, Zurückhaltung in der Deutschschweiz
Die Waadtländer Regierung will die Métro weiter ausbauen. Die «M2» soll künftig doppelspurig geführt werden. Ausserdem ist eine dritte Métro-Linie geplant. Die «M3» soll vom Bahnhof Richtung Nordwesten zum Flugplatz Blécherette führen.
Die U-Bahn hat an Resonanz verloren
Während die Métro in Lausanne ausgebaut wird, sind U-Bahnen in der Deutschschweiz derzeit kein Thema. Immer wieder geistern zwar Ideen herum, insbesondere in Zürich. Diese wurden aber häufig bereits im Keim erstickt.
«Die U-Bahn hat an Resonanz verloren. Seit der Abstimmung 1973 in Zürich weiss man, dass dieses Verkehrsmittel viele negative Gefühle auslösen kann», sagt ZHAW-Professor Koch. Dass es in Zürich je einmal wieder ein ähnliches Projekt geben wird, ist daher sehr unwahrscheinlich.