Alerio spricht Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Griechisch. Der Sechstklässler aus Dübendorf beherrscht auch Türkisch, Japanisch, Mandarin und Ukrainisch perfekt. Nicht wirklich – und nicht in der realen Welt.
Möglich macht das ein KI-Tool namens «HeyGen». Es übersetzt Alerios Video von seiner Ursprungssprache Deutsch in derzeit rund 20 Sprachen. Verblüffend echt synchronisiert es auch die Lippenbewegungen.
«HeyGen» ist nur ein Tool, das derzeit mit neuen Entwicklungen und verbesserter Qualität auf sich aufmerksam macht. Andere, einfachere Hilfsmittel für Sprachübersetzungen wie Google Translate, Deepl und dergleichen gibt es schon länger.
Tools werden schnell besser
Raphael Berthele ist Professor für Mehrsprachigkeit an der Universität Freiburg. Er beobachtet bei den Übersetzungstools eine immer besser werdende Qualität. Für das Fremdsprachenlernen böten sie Chancen und Risiken.
«Wenn jemand eine Sprache lernen, aber sich nicht eingehender mit ihr auseinandersetzen will, können solche Anwendungen nützlich sein und Arbeit abnehmen», sagt er.
Wenn sich jemand hingegen auf anspruchsvolle Art und Weise mit einer Sprache beschäftigen und anspruchsvolle Texte produzieren wolle, dann sei der «billige Umweg» über diese Tools potenziell ein Problem.
Den Schülerinnen gefällts
Alerios Mitschülerinnen und Mitschüler testen noch eine andere neue Sprachen-App. Quazel heisst sie, basiert ebenfalls auf künstlicher Intelligenz (KI) und kann mit den Lernenden über beliebige Themen ein Gespräch führen.
Die Sechstklässlerin Sofie und ihr Gspänli Baha sehen Vorteile für diese Art des Sprachenlernens. «Es ist ein bisschen einfacher: Du stellst einfach eine Frage, anstatt im Buch zu suchen», sagt Baha. Und Sofie ergänzt: «Die App antwortet, wenn du eine Sprache lernen willst. Und wenn du einen Fehler machst, korrigiert sie dich.»
Ersetzt KI das Fremdsprachenlernen in der Schule?
Die Primarlehrerin Mayumi Kinoshita ist sich bewusst, dass im Bereich KI viel auf die Schulen zukommen wird, auch im Sprachunterricht.
Sie ist aber überzeugt, dass Sprache auch in Zukunft von Menschen unterrichtet werden muss. «Wenn jemand vorne steht und die Fremdsprache sprechen kann, dann ist das eine grössere Motivation für die Kinder, als wenn sie bloss in ihren Bildschirm schauen.»
Auch für die Präsidentin der Primarschule Dübendorf, Susanne Hänni, bleibt Fremdsprachunterricht in der Schule wichtig. Trotzdem wittert sie die Chance, dank Einbezug von KI beim Fremdsprachenunterricht Stunden streichen zu können.
Künftig weniger Sprachunterricht?
Derzeit würden ihre Schülerinnen und Schüler in insgesamt 1200 Unterrichtsstunden Sprachen lernen, so Hänni. «Das sind zwölf Prozent der ganzen Unterrichtszeit.» Deshalb: «Wenn man bedenkt, dass es Apps gibt, die viel präziser übersetzen können als jedes Kind am Ende der Schulzeit, müssen wir uns Gedanken machen, ob wir die Prioritäten irgendwo anders setzen müssen.»
Die gelernte Programmiererin denkt im Gegenzug für weniger Sprachstunden an einen Ausbau des Unterrichts in Fächern, in denen neue Technologien unterrichtet werden.
Die Diskussion über Fremdsprachunterricht in der Schule ist lanciert. Nicht nur die Schülerinnen und Schüler in Dübendorf fragen sich, wo uns die künstliche Intelligenz beim Thema Sprachen lernen noch hinführen wird.