Zum Inhalt springen

Frühlingssession Sollen Menschen mit Beistand politische Rechte erhalten?

Menschen mit Behinderung, die einen Beistand haben, dürfen keine politischen Rechte wahrnehmen. Das könnte sich ändern.

Der Nationalrat beschäftigt sich heute mit der Frage, ob auch Menschen mit einer Behinderung, die von einem Beistand unterstützt werden, wählen und abstimmen dürfen. In der zuständigen Kommission hat die Forderung eine knappe Mehrheit gefunden.

Zurzeit steht in der Bundesverfassung, dass alle Schweizerinnen und Schweizer politische Rechte hätten, die das 18. Lebensjahr zurückgelegt hätten und, Zitat, «die nicht wegen Geistesschwäche oder Geisteskrankheit entmündigt sind».

Das ist der Inhalt der Motion:

Box aufklappen Box zuklappen

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats hat diesen Vorschlag eingereicht:

«Der Bundesrat wird beauftragt den Entwurf einer Änderung von Artikel 136 Absatz 1 der Bundesverfassung zu unterbreiten. Diese soll wie folgt lauten: Die politischen Rechte in Bundessachen stehen allen Schweizerinnen und Schweizern zu, die das 18. Altersjahr zurückgelegt haben. Alle haben die gleichen politischen Rechte und Pflichten

Der heutige Artikel 136 Absatz 1 beruht auf der Vorstellung, dass Personen mit Behinderungen, die für die Bewältigung des Alltages (z.B. in Finanzangelegenheiten) auf den Schutz einer umfassenden Beistandschaft oder einer Vertretung angewiesen sind, zur politischen Meinungsbildung nicht fähig sind.

Sprachlich mutet der Artikel veraltet an. Staatsrechtsprofessor Markus Schefer sagt zudem, dass er auch inhaltlich nicht vereinbar sei mit der UNO-Behindertenrechtskonvention. Schefer ist selbst Mitglied des UNO-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit einer Behinderung. «Die Konvention geht davon aus, dass das Vorliegen einer Behinderung nie Anknüpfungspunkt sein darf, um eine Person schlechter zu stellen. Dies aus der Überlegung, dass Menschen mit Behinderungen tatsächlich die gleichen Rechte haben sollen wie alle anderen Menschen auch.»

Entmündigungen als letztes Mittel

Heute dürfen diejenigen rund 16'000 Menschen nicht wählen und abstimmen, die für die Bewältigung ihres Alltags auf einen Beistand angewiesen sind. Im Parlament fanden auch jene Kommissionmitglieder, die gegen die Änderung waren, den Verfassungsartikel unglücklich. Sie sahen aber keinen Handlungsbedarf auf Verfassungsebene – vielmehr sollten die Kantone dafür sorgen, dass nur als letzte Möglichkeit überhaupt entmündigt wird.

Eine Frau hält einen Stimmzettel in der Hand
Legende: Eine Motion verlangt, dass auch Behinderte mit Beistand politisch mitreden dürfen. Keystone/Christian Beutler

Gemäss Schefer könne man dies aber nicht mit der Frage nach den politischen Rechten verknüpfen: Die Frage, ob jemand einen Beistand braucht, sei nicht relevant beim Entscheid, ob sich jemand eine politische Meinung bilden kann. «Es geht nicht um das Thema Beistand, es geht darum, ob die Person für sich selber sorgen kann.»

Nur weil jemand Hilfe brauche bei der Bewältigung des Alltags, heisse das nicht, dass sich diese Person keine politische Meinung bilden könne, sagt auch Fabian Putzing, Geschäftsführer Organisation Insieme Schweiz, die sich für Menschen mit einer geistigen Behinderung einsetzt. Ob jemand politische Rechte hat, sei ja sonst auch nicht an Bedingungen geknüpft. «Die Wahrnehmung des Stimm- und Wahlrechts ist in der Schweiz nicht abhängig von staatsbürgerlichen Kenntnissen. Es gibt keine Tests, die entscheiden, ob jemand wählen darf oder nicht. Derzeit werden Menschen mit Behinderung mit strengeren Massstäben gemessen als andere.»

Beeinflussung ist strafbar

Wenn Menschen, die entmündigt sind, wählen und abstimmen dürfen, stellt sich letztlich jedoch auch die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass diese nicht beeinflusst werden – etwa von ihrem Beistand. Staatsrechtsprofessor Markus Schefer sagt, Beeinflussungen würden überall stattfinden: in Familien etwa und in Altersheimen. «Wir haben Strafbestimmungen, die solche unzulässigen Beeinflussungen unter Strafe stellen. Wenn man die Motion annimmt, wäre es wohl sinnvoll, wenn man Heimleitungen entsprechend instruieren würde.» Das heisst: klarstellen, dass solche Beeinflussungen unzulässig sind.

Das letzte Wort hat der Souverän

Box aufklappen Box zuklappen

Da es sich um eine Änderung der Verfassung handelt, hat das Schweizer Stimmvolk das letzte Wort, sofern die Motion im Parlament Mehrheiten findet.

Neben anderen europäischen Ländern haben inzwischen auch einige Kantone für kantonale Abstimmungen die Gesetzgebung entsprechend angepasst. Im Kanton Genf etwa dürfen Menschen mit Beistand seit 2020 abstimmen und wählen. In Appenzell Innerrhoden seit Anfang 2024. Auch in den Kantonen Zug, Zürich und Neuenburg sind entsprechende Änderungen aufgegleist.

Rendez-vous, 17.03.2025, 12:30 Uhr

Meistgelesene Artikel