Wie bei jeder Session wimmelt es im Bundeshaus von Menschen. Doch nun fällt auf: Auf der Zuschauertribüne sitzen Menschen mit weissen Stöcken, andere werden von Gebährdenleserinnen begleitet. Vor dem Nationalratssaal sitzen Menschen mit Behinderung in Rollstühlen.
Neben dem Rollstuhl steht Damian Bright. Er ist 31 Jahre alt und hat Trisomie 21 – das Down-Syndrom. «Diese Session ist wichtig für Menschen mit Behinderungen. Es ist wichtig, dass wir ein Zeichen setzen, um zu zeigen, wer wir sind», sagt er.
Damian Bright hat bereits mehrere Zeichen gesetzt; er hat sich sein Stimm- und Wahlrecht per Gericht erkämpft. Und er hat mitgeholfen, dass der Kanton Genf in dieser Frage eine Pionierrolle eingenommen hat.
Schweiz hat Behindertenrechte ratifiziert
Die Genfer Bevölkerung hat vor zweieinhalb Jahren beschlossen, dass auch bevormundete Menschen mit geistiger oder psychischer Beeinträchtigung auf Kantons- und Gemeindeebene abstimmen und wählen dürfen. «Abstimmen und Wählen zeigt, dass wir einfach dazugehören», sagt Bright.
Und: «Ja, Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung können die Abstimmungsunterlagen verstehen», sagt Bright. Man müsse sie ihnen einfach verständlich erklären. «Eine leichte Sprache ist für Menschen mit Trisomie 21 viel einfacher zu lesen», sagt er.
Das mit der leichten Sprache klappe in Genf noch nicht, erklärt Cyril Mizrahi auf Anfrage am Telefon. Er ist Grossrat in Genf und war Mitinitiant der Verfassungsänderung in seinem Kanton. Ansonsten zieht er eine positive Bilanz. Betroffene würden ihr Stimmrecht seit März 2021 nutzen.
Wahlrecht nicht einzige Hürde
Kein Wahlrecht wegen geistiger Beeinträchtigung ist nicht die einzige Hürde für Menschen mit Behinderung, die ihre politischen Rechte wahrnehmen möchten. Es sind Rechte, die die Schweiz mit der Ratifizierung der UNO-Behindertenkonvention schon vor Jahren beschlossen hatte.
Wie scheinheilig das Gerede von Inklusion ist, zeige ich Ihnen an einem Beispiel an dieser Behindertensession.
Im Nationalratssaal ergreift Alex Oberholzer, einer der 44 ausgewählten Abgeordneten, das Wort: «Alle reden von Inklusion, auch die Politikerinnen und Politiker. Wie scheinheilig das ist, zeige ich Ihnen an einem Beispiel an dieser Behindertensession.»
Dem Parlament war es zu teuer
Es habe im Vorfeld der Session viele Diskussionen gebraucht, damit der Anlass für Menschen mit Hörbehinderung überhaupt zugänglich geworden sei.
Hörbehinderte Menschen könnten nur mit Gebärdenübersetzerinnen teilnehmen. Diese seien heute nur deshalb da, weil sie von einer privaten Institution finanziert würden. «Das Parlament wollte hier an der Session keine Gebärdendolmetscher finanzieren. Wir kennen das Argument: zu teuer. Inklusion ist gut, solange sie nichts kostet.»
Das Parlament wollte hier, an dieser Behindertensession, keine Gebärdendolmetscher finanzieren.
Hör- oder sehbehinderte Personen hätten Mühe mit den gängigen Botschaften für Abstimmungen und Wahlen. Die Unterlagen müssten mit Gebärdensprache und mit Untertitelung verfügbar sein, fordert darum ein weiterer Redner. Verschiedene Teilnehmende äussern ihre Hoffnung, dass es weitere Behindertensessionen geben werde.
Christian Lohr verspricht es. Der Mitte-Nationalrat, der selber im Rollstuhl ist und die Session leitet, sagt, die Bemühungen um Inklusion würden auch nach dieser Session weitergehen.
Im Kanton Genf ist man schon einen Schritt weiter: Anfang April können sich Menschen mit geistiger Behinderung zum ersten Mal an einer kantonalen Wahl beteiligen. In weiteren Schweizer Kantonen sind entsprechende Prozesse eingeleitet.