Am 24. Februar wurde bekannt, dass im Tessin die erste Person an einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus erkrankt war. Noch am selben Tag startete das Forscherteam um Christoph Ort mit seiner Arbeit.
Seither hätten die neun grössten Kläranlagen im Tessin täglich eine Wasserprobe von einem Liter entnommen, sagt der Umweltingenieur der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs. «Jetzt lagern schon mehr als 300 Proben in unseren Gefrierräumen.»
Untersuchung kann bald beginnen
Bisher konnte Ort die Wasserproben aus dem Tessin noch nicht auf Sars-CoV-2 untersuchen – das Virus, welches die Lungenkrankheit Covid-19 verursachen kann. Auch Ort und sein interdisziplinäres Team – daran sind auch Forscherinnen und Forscher der ETH Lausanne beteiligt – befinden sich seit zwei Wochen im Homeoffice. Doch bald können sie mit einer Sonderbewilligung zurück in die Labors.
Zu den Proben aus dem Tessin sind inzwischen solche aus Lausanne, Zürich und Kloten hinzugekommen. So werden die Ausscheidungen von fast einer Million Menschen abgedeckt. Der Wissenschafter ist zuversichtlich, dass sich die Viren im Wasser tatsächlich werden nachweisen lassen. Hinweise dafür gibt es aus den Niederlanden.
Verbreitung in der Schweiz nachzeichnen
Zunächst werde man die aktuellen Proben untersuchen, erklärt Ort. «So können wir live mitverfolgen, wie die Infektionen hoffentlich bald zurückgehen.» Erst danach werde man die älteren Proben untersuchen, um abzubilden, wie sich die Infektionswelle in der Schweiz ausgebreitet habe.
Ort ist zuversichtlich, dass es gelingt, das Virus nicht nur im Wasser festzustellen, sondern dass es sich auch quantifizieren lässt. Er hofft, so im Idealfalls abschätzen zu können, wie viele Menschen in etwa mit Sars-CoV-2 infiziert sind.
Ziel ist ein Frühwarnsystem
Langfristiges Ziel der Eawag-Forscher ist es, die Messmethode so gut zu entwickeln, dass das Abwasser als eine Art Frühwarnsystem für künftige Coronavirus-Wellen genutzt werden kann. Dies würde es künftig ermöglichen, frühzeitig lokale Massnahmen gegen eine weitere Verbreitung zu ergreifen, so Ort.
Im besten Fall könnten so schon eine Woche früher Massnahmen gegen eine Ausbreitung ergriffen werden, als dies bei der aktuellen Infektionswelle der Fall war. Laut Forscher Ort bräuchte es für ein schweizweites Sars-CoV-2-Frühwarnsystem ein Netz von 19 grossen Kläranlagen, die in der ganzen Schweiz verteilt sind. So erhielte man Auskunft über die Ausscheidungen von 2,5 Millionen Menschen in der Schweiz.
Offizielles Messnetz nötig
Wichtig wäre es laut Ort, dass die betreffenden Kläranlagen Teil eines offiziellen, institutionalisierten Projekts wären. Denn damit könnte sein Forscherteam jederzeit, «quasi auf Knopfdruck», an aktuelle Abwasser-Proben gelangen, die umgehend ausgewertet werden könnten. «Das würde uns schon viel helfen», so der Wissenschafter.
Bis es so weit ist, arbeiten Ort und sein Team nun mit Hochdruck daran, die vorliegenden Wasserproben zu entschlüsseln – und damit die Grundlage für ein zukünftig institutionalisiertes Abwasserfrühwarnsystem zu schaffen.