Zwei Monate lang war die Stadt Wuhan mit ihren elf Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern von der Aussenwelt abgeschnitten. Nun werden im Epizentrum der Corona-Pandemie die Quarantäne-Bestimmungen langsam wieder gelockert. Journalist Steffen Wurzel, der in Shanghai wohnt, schildert die weiterhin bestehenden Einschränkungen.
SRF News: Kann man schon wieder von Normalität sprechen?
Steffen Wurzel: Davon würde ich nicht sprechen, aber es gibt den Versuch, wieder etwas Normalität für die Menschen in und um Wuhan herzustellen. Das betrifft die gesamte Provinz Hubei mit ihren ca. 60 Millionen Einwohnern.
Die Fallzahlen der neu infizierten Menschen und der Todesopfer in und um Wuhan – das sagt zumindest die Staats- und Parteiführung in Peking – gehen zurück. Wir Journalisten können noch nicht in die Provinz reisen und uns ein Bild vor Ort machen. Die Informationen von staatlicher Seite können wird deshalb nicht überprüfen – sie sind mit Vorsicht zu geniessen.
Was ist in Wuhan wieder möglich?
Die Menschen in der Provinz Hubei können sich seit einigen Tagen wieder frei bewegen. Sie können wieder einkaufen und auch arbeiten gehen. In der Hauptstadt Wuhan soll ab dem 8. April wieder die volle Bewegungsfreiheit herrschen. Es gibt aber Einschränkungen. In ganz China braucht man einen mobilen «Gesundheitspass»: Nach grosser Big-Data-Analyse zeigt eine App in den Farben rot, gelb oder grün an, ob man gefährdet ist oder nicht. Man darf sich nur frei bewegen, wenn die App grün anzeigt. Zudem ist es nach wie vor sehr schwierig, nach Peking hineinzugelangen.
Wie kann man das Leben wieder hochfahren, ohne dass es eine neue Ansteckungswelle gibt?
Vor einer neuen Welle warnen auch viele Fachleute hier. Sie gehen davon aus, dass man nicht einfach zum Alltag zurückkehren kann, als sei nichts gewesen. Man versucht nach wie vor, die Hygieneregeln konsequent umzusetzen. Die Gesundheitsapp protokolliert mit, wer sich wann, wo und mit wem aufgehalten hat. Will man in ein Shoppingcenter gehen oder in die U-Bahn einsteigen, muss man diese App vorzeigen. Es gehen alle davon aus, dass diese Massnahmen ziemlich lang aufrechterhalten werden.
Offiziell sind es rund 2500 Menschen in Wuhan, die am Coronavirus gestorben sind. Es kursieren aber weit höhere Zahlen sowie der Vorwurf, die chinesische Regierung habe die Zahl der Toten geschönt. Gibt es Hinweise, dass etwas dran sein könnte?
Viele ausländische Experten, die sich wissenschaftlich mit China beschäftigen, sagen, die Zahlen seien frisiert. So wird in China etwa so getan, als sei vom riesigen Militär, das zwei Millionen Soldaten stark ist, niemand infiziert. Das ist aus Sicht von Experten absolut unglaubwürdig.
Viele ausländische Experten sagen, die chinesischen Zahlen seien frisiert.
Wir dürfen nicht vergessen: In China gibt es weder freie Medien noch eine Opposition oder eine unabhängige Justiz. Diese Kontrollinstanzen existieren nicht. Deswegen kann die Staats- und Parteiführung viel behaupten, ohne dass es gross angezweifelt wird.
China will den Wirtschaftsmotor schnellstmöglich wieder in Gang setzen. Das könnte aber mit Blick auf Wuhan noch eine Weile dauern?
Es kommt immer darauf an, was man als Massstab nimmt. Im Vergleich zu Mitte Februar, als alles in der Provinz Hubei stillgelegt wurde, gibt es einen massiven Aufschwung. Aber im Vergleich zur Vorkrisensituation sieht es nach wie vor katastrophal aus. Aufgrund der Pandemie ist zudem die ausländische Nachfrage nach chinesischen Gütern gesunken. Als Land, das stark auf den Export setzt, schlägt das auf China zurück.
Das Gespräch führte Claudia Weber.