Die Belastung in der Kindermedizin ist gross. Das spüren die Ärzte, die Pflegenden und die Patientinnen. Im schlimmsten Fall können Spitalangestellte ihre Aufgaben deshalb nicht mehr fehlerfrei erledigen. Recherchen des Regionaljournals Bern Freiburg Wallis von Radio SRF legen am Beispiel der Kinderklinik des Berner Inselspitals diesbezüglich Missstände offen.
Es kann sein, dass man etwas übersieht, weil zu wenig Zeit da ist.
Personal fehle, man müsse ständig einspringen, die Schichten würden einen Gang aufs WC nicht erlauben, es gebe viele Doppelschichten – das berichten Pflegefachleute, die anonym bleiben wollen.
Ein Beispiel: In Spitzenzeiten seien auch schon vier Intensivpatienten gleichzeitig betreut worden. Normalerweise ist hier in diesem Fall eine Eins-zu-eins-Betreuung vorgesehen.
Körperlich und psychisch am Limit
Von einer «Pflege» könne man nicht mehr sprechen, erzählt eine Pflegefachperson. Sie habe etwa schon lange kein Kind mehr waschen können. Das Fachpersonal sei am Limit, man gebe aber immer sein Bestes.
Aufgrund der angespannten Situation hat Barbara Kohler, Neuropsychologin an der Kinderklinik der Insel, eine Awareness-Gruppe gegründet: «Es ist gut möglich, dass man nach einer Nachtschicht am Morgen merkt, dass man vielleicht etwas übersehen hat, weil man zu wenig Zeit hatte.»
In der Gruppe dabei sind Ärztinnen, Pfleger oder Therapeutinnen. Sie wollen auf die Lage der Spitalangestellten aufmerksam machen.
Fehler passiert
Doch es sind offenbar bereits gewichtige Fehler passiert. Eine Pflegefachperson berichtet etwa von einem Vorfall, bei dem einem Kind eine Überdosis Morphium verabreicht worden sei. Das Kind hätte darauf reanimiert werden müssen.
Eine Reanimation infolge Überdosis ist mir hier nicht bekannt. Das wäre zu mir gelangt.
Diesen Vorwurf weist der ärztliche Leiter der Kinderklinik der Insel, Matthias Kopp, zurück: «Wir haben ein System, bei dem fehlerhafte Situationen rapportiert werden», sagt Kopp. «Eine Reanimation infolge Überdosis ist mir in diesem Haus nicht bekannt. Das wäre sicherlich zu mir gelangt.»
Schwerwiegende Fälle würden auf einer übergeordneten Ebene besprochen, sagt der ärztliche Leiter Matthias Kopp: «Ehrlicherweise passieren aber in einem Krankenhaus nicht nur Fehler bei Überbelastung, sondern auch im Normalbetrieb. Man darf nicht den Schluss ziehen: Zunehmende Belastung führt zu mehr Fehlern.»
Qualität der Behandlung kann leiden
Trotzdem könne die Arbeitsqualität bei grossem Druck auf die Mitarbeitenden abnehmen. «Unsere Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Sachen wie Doppelschichten nicht passieren. Andererseits haben wir einen Versorgungsauftrag gegenüber den kranken Kindern.» Um diesen zu erfüllen, seien Doppelschichten manchmal nicht zu vermeiden.
Aufgrund der kleinen Teams ist es zum Teil schwierig, die Versorgung zu gewährleisten
Schwierige Situationen gebe es nicht nur in Bern, es sei ein grundsätzliches Problem der Kindermedizin, das seit Jahren bekannt sei. Zudem würden die kleinen Patientinnen und Patienten zunehmend komplexere Krankheitsbilder aufweisen, so Kopp.
«Wir haben in der Kindermedizin in der Regel auch kleinere Teams als in der Erwachsenenmedizin. Das sorgt für Situationen, in denen es schwierig ist, die Versorgung aufrechtzuerhalten.» Der Fachkräftemangel verschärfe die Situation, sagt der ärztliche Leiter.
Von der Belegschaft des Kinderspitals jedenfalls wurde durch die Gründung der «Awareness-Gruppe» nun ein Warnschuss abgegeben. Die Gruppe fordert eine Lösung auf nationaler Ebene, um die Situation in der Kindermedizin zu verbessern.