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Furcht vor dem Unbekannten «Die Gefahr, am Corona-Virus zu sterben, wird völlig überschätzt»

Rund 6000 Menschen haben sich in China bisher mit dem neuartigen Corona-Virus angesteckt. In der Schweiz hat sich noch kein Verdachtsfall bestätigt. Trotzdem sind Atemschutzmasken in vielen Apotheken ausverkauft. Warum das so ist, erklärt Borwin Bandelow. Er ist Psychologe und Angstforscher an der Universität Göttingen.

Borwin Bandelow

Psychiater, Psychologe und Experte für Angststörungen

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Bandelow (Jahrgang 1951) ist Professor an der Universität Göttingen (D) und Gründer der Gesellschaft für Angstforschung. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht.

SRF News: Warum handeln viele Menschen präventiv eher ängstlich?

Borwin Bandelow: Nun, wir haben schreckliche Geschichten aus der chinesischen Stadt Wuhan mitbekommen, wo die ganze Stadt lahmgelegt ist. Es sind auch Fälle in europäischen Ländern aufgetreten. Und das macht den Leuten Angst. Das kann man ihnen nicht verdenken, wenn man diese Bilder aus China sieht.

Was löst diese Angst aus?

Immer, wenn eine Gefahr auftaucht, die neu und unbeherrschbar erscheint, haben wir davor mehr Angst als vor den bekannten Gefahren. Jedes Jahr sterben zum Beispiel in Deutschland 25’000 Menschen an normaler Grippe. Doch die Schutzimpfung macht kaum jemand. Aber wenn ein neues Virus kommt, haben die Leute Angst. Es ist ja so, dass Viren nicht spezifisch mit Medikamenten bekämpft werden können. Sie können nur symptomatisch behandelt werden.

Immer, wenn etwas Neues kommt, gerät das System aus der Balance.

Die Furcht vor Grippe ist viel kleiner als vor dem Corona-Virus. Warum ist die Angst vor Grippe so klein geworden?

Es gibt so viele Gefahren. Grippe ist nur eine davon. Es sterben jedes Jahr Menschen an Haushalt- oder bei Freizeitunfällen. Da machen wir uns wenig Gedanken drüber, wir fahren weiter Ski oder klettern weiter im Haushalt auf eine Leiter und denken, dass schon nichts passieren werde. Es ereignen sich immer wieder schreckliche Dinge und Unfälle. Da hat man sich daran gewöhnt und versucht, sein Leben nicht dadurch beeinträchtigen zu lassen. Aber immer, wenn etwas Neues kommt, gerät dieses System aus der Balance.

Gewöhnung an Gefahren lässt die Angst schwinden. Aber das dauert immer eine gewisse Zeit. Ein schnell wirkendes Rezept gegen die Angst gibt es nicht?

Meine Beobachtung ist, dass die Menschen immer, wenn etwas Schreckliches passiert, wenn ein neues Virus kommt oder wenn ein Terroranschlag durchgeführt wurde, ungefähr vier Wochen lang darüber reden. Dann erscheint nichts mehr in den Medien, weil es die Leute auch gar nicht mehr hören wollen. Sie gewöhnen sich daran und haben auch die Risikoeinschätzung besser im Griff.

Angst ist nicht gut in Statistik.

Ich sage jeweils, «Angst ist nicht gut in Statistik». Derzeit wird die statistische Gefahr, durch das Corona-Virus zu sterben sehr stark überschätzt. Nach etwa vier Wochen wird man eine realistische Einschätzung des Problems haben.

Das Gespräch führte Barbara Büttner.

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