- Im Kanton St. Gallen ist der ehemaligen Cheftrainer des Regionalen Leistungszentrums für Kunstturnerinnen in Wil schuldig gesprochen worden – wegen mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind und mehrfacher sexueller Nötigung.
- Das Kreisgericht Wil hat ihn mit einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt – davon muss er sechs Monate ins Gefängnis.
- Wenn er die Strafe verbüsst hat, muss er die Schweiz für zehn Jahre verlassen und darf nie mehr mit minderjährigen Mädchen arbeiten.
- Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann an die nächste Instanz weitergezogen werden.
Der Fall hat im Sommer 2019 schweizweit für Schlagzeilen gesorgt: Der aus dem Ausland stammende Cheftrainer der Ostschweizer Nachwuchskunstturnerinnen wurde im August verhaftet. Er soll im Frühsommer 2018 eine damals 15-jährige Turnerin bei sich zu Hause betrunken gemacht und mehrfach sexuell missbraucht haben. Die Geschehnisse haben eine Debatte über mutmasslichen sexuellen Missbrauch und im Besonderen über Macht-Missbrauch im Schweizer Spitzensport ausgelöst.
Der Fall
Ein gutes Jahr nach dem angeblichen Übergriff hatte die Jugendliche Strafanzeige erstattet. Die Kunstturnerin, die täglich mehrere Stunden im Regionalen Leistungszentrum Ostschweiz (RLZO) in Wil trainierte, hatte ihren heute 44-jährigen Trainer wegen sexuellem Missbrauch angezeigt. Er soll sie jahrelang im Training immer wieder unangenehm berührt haben. Immer wieder soll er versucht haben, sie zu küssen. An diesem Abend im Frühsommer 2018 hätten sie bei ihm daheim zusammen Alkohol getrunken. Er soll sie dabei aufs Sofa gedrückt und sexuell missbraucht haben.
Der beschuldigte Trainer wurde im August 2019 in Untersuchungshaft genommen und wenige Wochen später gegen Kaution wieder freigelassen. Kurz darauf beendete die Turnerin, die zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt war, ihre Karriere und zog sich aus dem Spitzensport zurück. Der Ex-Cheftrainer des RLZO bestreitet nach wie vor sämtliche Vorwürfe seiner ehemaligen Schülerin.
Der Prozess
Am Dienstag fand der Prozess vor dem Kreisgericht Wil statt. Der Angeklagte, der ehemalige Cheftrainer, hat vor Gericht nicht viel gesagt und auf Anraten seiner Anwältin auf eine Befragung verzichtet. Er hat ein kurzes Statement vorgelesen, in welchem er sagte, dass die vergangenen dreieinhalb Jahre seit der Anzeige für ihn sehr schwierig gewesen seien und dass es nie sexuelle Übergriffe gegeben habe.
Die Verteidigung betonte, dass die Aussagen des Opfers nicht glaubwürdig seien. Die ehemalige Kunstturnerin und Schülerin des Angeklagten habe schon immer Aufmerksamkeit gebraucht und psychische Probleme gehabt. Weil Aussage gegen Aussage stehe und das Opfer «nicht glaubwürdig» sei, müsse es «in dubio pro reo» – also im Zweifel für den Angeklagten – einen Freispruch geben.
Die Staatsanwaltschaft forderte für den Ex-Cheftrainer wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind und mehrfacher sexueller Nötigung eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 30 Monaten, zehn Jahre Landesverweis und ein lebenslanges Arbeitsverbot im Zusammenhang mit einem Kontakt zu minderjährigen Mädchen.
Der Schuldspruch
Das Kreisgericht ist mit dem Schuldspruch der Argumentation der Staatsanwaltschaft und der ehemaligen Kunstturnerin als Privatklägerin gefolgt. Es hat der jungen Frau geglaubt, dass die Übergriffe stattgefunden haben und dass ihr ehemaliger Trainer seine Macht und ihre Abhängigkeit von ihm missbraucht hat.