In der Schweiz fallen dem Menschenhandel mehrheitlich Frauen zum Opfer. Viele landen in der Prostitution. Die Waadt bekämpft Menschenhandel besonders umfangreich. Der Kanton hat Bilanz gezogen. Und dabei hat sich gezeigt: Wer Menschenhandel konsequent nachgeht, findet auch Fälle.
Sie sind die Opfer von moderner Sklaverei. Menschen, die aus ihren Heimatländern mit falschen Versprechungen weggelockt und dann ausgebeutet werden.
Das Versprechen: Ein besseres Leben in Europa
Ein Beispiel: Frau C. lebte in Nigeria auf der Strasse. Eines Tages wird ihr ein besseres Leben in Europa versprochen. Die Reise nach Europa ist von Kriminellen organisiert und am Tag der Ankunft in der Schweiz folgt das böse Erwachen. Sie wird zur Prostitution gezwungen.
Am Tag ihrer Ankunft wird den Opfern plötzlich gesagt, dass sie sich prostituieren müssen, um ihre Schulden zurückzuzahlen.
Dieser Frau ist Angela Oriti begegnet, eine der Co-Leiterinnen der Organisation Astrée, die in der Waadt gegen Menschenhandel kämpft. Oriti erzählt: «Am Tag ihrer Ankunft wird den Opfern plötzlich gesagt, dass sie sich prostituieren müssen, um ihre Schulden zurückzuzahlen.» Das gebe es nicht nur in der Prostitution, auch im Gastgewerbe, auf dem Bau oder bei kriminellen Banden wie Einbrechern gebe es Menschenhandel.
Diese Stellen setzen sich für Betroffene ein:
Die Waadt begegnet dieser Form der Kriminalität mit einem besonderen Dispositiv: Der Verein Astrée schult Behörden, Milieu-Arbeiter und viele andere Partner darin, Menschenhandel zu erkennen. Im Beispiel der Frau C war es ein Strassenseelsorger, der die Frau in das verborgene Foyer in einer Nebengasse der Lausanner Altstadt gebracht hat. Dort finden Opfer von Menschenhandel Zuflucht. Auch begleitet Astrée die Opfer auf dem Rechtsweg, sofern sie Anzeige erstatten wollen. Und hilft ihnen, das Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen.
Mehr Fälle denn je gefunden
Dieses Dispositiv zeigt Wirkung: Denn seit der Gründung von Astrée vor sieben Jahren werden immer mehr Fälle entdeckt. Oriti sagt: «Vor Astrée gab es zwei bis drei Fälle pro Jahr, heute haben wir pro Jahr mindestens 25 neue Fälle und 2021 haben wir 87 Fälle umfassend begleitet.»
Je mehr man sucht, desto mehr kommt dieses versteckte Phänomen ans Tageslicht.
Von diesen 87 Personen lebten 24 zwischenzeitlich im Foyer von Astrée in Lausanne. Die anderen kamen für Beratungsgespräche vorbei.
Solch umfassende Angebote inklusive Beherbergung gibt es in der Schweiz einzig in Zürich und in Lausanne. In Zürich muss sich die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration FIZ aber zur Hälfte privat finanzieren. In Lausanne wird Astrée fast vollständig vom Kanton finanziert, mit 1.4 Millionen Franken pro Jahr. Der Kampf gegen Menschenhandel sei ein klarer politischer Wille, sagt die zuständige Waadtländer Staatsrätin Rebecca Ruiz. «Je mehr man sucht, desto mehr kommt dieses versteckte Phänomen ans Tageslicht.» Nur machen das in der Schweiz bislang nicht alle Kantone, sondern hauptsächlich jene mit grossen Städten.
Fedpol will Aktionsplan ausarbeiten
Auf nationaler Ebene ist das Bundesamt für Polizei Fedpol zuständig für den Kampf gegen Menschenhandel. Das Fedpol registriert auch auf nationaler Ebene einen Anstieg der bekannten Fälle. So gab es 2020 einen neuen Höchststand von Opferhilfe-Beratungen. Zum Thema Menschenhandel äussert sich das Fedpol nur schriftlich und es geht von einer Dunkelziffer aus, wie es Radio SRF mitteilte. Das ist also nur die Spitze des Eisbergs.
Das Fedpol will nun einen neuen nationalen Aktionsplan ausarbeiten, um Menschenhandel besser zu bekämpfen. Zudem kündigte das Bundesamt für Polizei an, die Mittel zur Unterstützung kantonaler Projekt im Kampf gegen Menschenhandel von 400'000 auf 600'000 Franken zu erhöhen.
Das ist immer noch weniger als die Hälfte, als die Waadt für das Foyer in Lausanne ausgibt.