In der Schweiz gehe es mit den Auffrischimpfungen gegen das Coronavirus zu langsam voran, findet der Zürcher Infektiologe Huldrych Günthard. In einem Interview in der «Sonntagszeitung» sagte er, dass die Armee beim Impfen helfen solle, wenn in den Kantonen das Personal fehle. «Es ist unverständlich, dass die Kantone nicht alles unternehmen, um die älteren und gefährdeten Personen jetzt und nicht erst bis Ende Dezember zu boostern.»
Für Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF), müsste für den Einsatz der Armee eine Notlage herrschen. Eine solche läge etwa vor, wenn die Gesundheitsversorgung beeinträchtigt oder gar nicht mehr sichergestellt wäre. «Aus meiner Sicht besteht heute keine Notlage», sagt Berger.
Aus meiner Sicht besteht heute keine Notlage
Schliesslich ist es an den Kantonen, beim Bund zusätzliche Ressourcen für ihre Spitäler, Intensivstationen oder Impfzentren von der Armee zu ordern. Bisher hat kein Kanton ein Gesuch um Unterstützung der Armee beim Impfen gestellt, wie ein Armeesprecher gegenüber Keystone-SDA bestätigte.
Auch Lukas Engelberger, Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK), weiss von keinem Kanton, der beim Booster für alle auf die Armee angewiesen ist.
«Kein Personalmangel»
Der Kanton Bern etwa richte im November und Dezember die Impfkapazitäten auf rund 35'000 Impfungen pro Woche aus, davon 25'000 für die Booster, sagte Gundekar Giebel, Sprecher der kantonalen Gesundheitsdirektion Bern, zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Zurzeit gebe es im Kanton nicht mehr als täglich 5000 Personen, die für eine Auffrischimpfung infrage kommen. Das sind Personen ab 65 Jahren oder Jüngere, die sie aus gesundheitlichen Gründen benötigen. Diese Gruppe erhalte bis Ende Jahr die Auffrischimpfung. Laut Giebel besteht kein Personalmangel. Zurzeit seien 20'000 Termine offen. Auch die nötigen Gelder stünden zur Verfügung.
Priorität liegt bei über 65-Jährigen
Lukas Engelberger sieht in Günthards Forderung nach einem Armeeeinsatz die «berechtigte Ungeduld» eines Intensivmediziners. «Er sieht täglich, was mit den Patientinnen und Patienten passiert, die schwer an Covid-19 erkranken», sagt der GDK-Präsident.
Auch er räumt ein, dass die Zeit dränge, aber «wir müssen bei den Prioritäten bleiben». Prioritär ist momentan die Auffrischungsimpfung für Personen ab 65 Jahren, für Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeheimen sowie für gefährdete Personen unter 65 Jahren mit chronischen Erkrankungen.
Erst wenn diese Personengruppe die dritte Dosis erhalten hat, stellen die Kantone laut der GDK die Booster allen zur Verfügung. Aus Sicht der Kantone Bern und Genf etwa bestehe derzeit keine Dringlichkeit für die Auffrischimpfung bei den unter 65-Jährigen. Die jüngeren Booster-Willigen müssen sich möglicherweise bis Anfang Jahr gedulden.