In St. Gallen findet am Kreisgericht Rorschach ein Gerichtsprozess gegen einen Belarussen statt, der als Angehöriger einer Sondereinheit von Diktator Alexander Lukaschenko an der Ermordung von drei Oppositionellen beteiligt gewesen sein soll. Sollte das Gericht den Angeklagten verurteilen, hätte erstmals ein Gericht die Existenz von Todesschwadronen in Belarus festgestellt, sagt der Osteuropa-Historiker und -Literaturwissenschaftler Ulrich Schmid.
SRF News: Warum ist der Prozess über die Schweiz hinaus bedeutsam?
Ulrich Schmid: Er hat eine grosse Signalwirkung, weil er die Unmenschlichkeit und die Brutalität von Lukaschenkos Regime vor Augen führt. Man darf nicht vergessen: Lukaschenko hält den Friedensnobelpreisträger von 2020, den Bürgerrechtler Ales Bjaljazki, gefangen.
Vor welchem Dilemma stehen die Schweizer Strafverfolgungsbehörden?
Wir wissen nicht genau, ob der angeklagte Juri Garawski tatsächlich den Todesschwadronen angehörte oder ob er sich selber beschuldigt, um in der Schweiz Asyl zu erhalten. Ohne weitere Zeugenbefragungen ist es schwierig, der Wahrheit auf die Spur zu kommen.
Lukaschenko wurde 1994 demokratisch vom Volk gewählt und entwickelte sich seither zum eisernen Diktator. Was waren seine Ziele 1994?
Er war ein sowjetischer Technokrat, ein Manager, der überzeugt war, dass ein neosowjetisches Gesellschafts- und Wirtschaftssystem dem wirtschaftlichen Chaos im damaligen Russland überlegen sei. Viele Belarussinnen und Belarussen sahen das auch so, deshalb wählten sie Lukaschenko.
Gegen Ende der 1990er-Jahre setzte Lukaschenko seine Todesschwadronen gegen politische Gegner ein.
Sehr schnell kam es jedoch zu Übergriffen auf Oppositionelle, Lukaschenko duldete keine Herausforderer. Gegen Ende der 1990er-Jahre schliesslich setzte er sogar seine Todesschwadronen gegen politische Gegner ein.
Wie kam es, dass sich Belarus und Russland damals so eng verzahnt haben?
Weil Lukaschenko Mitte der 1990er-Jahre überzeugt war, dass das damalige russische System dem Untergang geweiht ist, schlug er eine Staatenunion mit Russland vor, die allerdings nicht wirklich in die Gänge gekommen ist. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet: Jetzt kann Russlands Machthaber Wladimir Putin den Bund instrumentalisieren und russische Truppen von Belarus aus die Ukraine beschiessen lassen.
Erstmals würde ein Gericht feststellen, dass es Lukaschenkos Todesschwadronen tatsächlich gegeben hat.
Der in St. Gallen angeklagte Garawski soll 1999 drei Oppositionelle getötet haben. Was hiesse ein Schuldspruch gegen ihn?
Erstmals würde ein Gericht feststellen, dass es Lukaschenkos Todesschwadronen tatsächlich gegeben hat. Es wäre ein wichtiges Signal an die Weltöffentlichkeit – um zu zeigen, mit welch grausamen Mitteln sich Lukaschenko an der Macht hält.
Wie realistisch ist es, dass Garawski in Belarus Gewalt erfahren würde, sollte er des Landes verwiesen werden?
Man weiss, dass die belarussischen Gefängnisse überaus grausam sind – noch grausamer als die russischen. Folterungen und Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Deshalb ist es richtig, die elementaren Menschenrechte auch einer derart zwielichtigen Figur wie Garawski zu respektieren. Ihm würden sicher Haft und Folter drohen, müsste er nach Belarus zurückkehren.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.