Es ist ein schöner Sommerabend, als sich im Dörfchen Seldwyla eine ungewohnte Szene abspielt. Auf dem Hauptplatz des ärmlichen Ortes fährt eine prunkvolle Kutsche vor. Auf dem Boden dieser Kutsche liegt ein Löwenfell. Es entsteigt ein adrett gekleideter, französischer Offizier – vom Krieg gezeichnet und doch edel anmutend. Es ist der Sohn einer lokalen Bäuerin, der vor 15 Jahren von zu Hause weglief und seither vermisst wurde.
In dieser Szene aus der Novelle «Pankraz, der Schmoller» beschreibt Gottfried Keller einen Schweizer Söldner, wie wir ihn uns heute vorstellen. Ein junger Bursche, der von Abenteuerlust getrieben in fremden Diensten anheuert und eine glorreiche Offizierskarriere durchschreitet, bis er schliesslich als gestandener, von allen charakterlichen Schwächen gereinigter und zu Reichtum gekommener Mann triumphierend in die Heimat zurückkehrt.
Jeder Zehnte reiste ins Ausland
Mit der Realität hat dies herzlich wenig zu tun. Es gab zwar Einzelschicksale, wo Männer aus ärmlichen Verhältnissen durch eine militärische Karriere den sozialen Aufstieg schafften, doch richtig profitieren konnten eigentlich nur die Familien, die bereits einen gewissen sozialen Status hatten. Für die restlichen Schweizer Söldner bedeutete der Dienst in fremden Kriegen vor allem Trauma, Heimweh – und Tod. Ein Drittel der jungen Männer kehrte nie zurück.
Das Söldnerwesen oder die fremden Dienste, wie es auch genannt wurde, war für Jahrhunderte der zweitwichtigste Wirtschaftszweig der Schweiz – nach der Landwirtschaft. Zeitweise kämpfte jeder zehnte Eidgenosse in einer fremden Armee.
Junge Schweizer suchten seit dem 13. Jahrhundert ihr Glück als Söldner. Als sogenannte Reisläufer (kommt vom Wort Reise) begaben sie sich damals meist noch auf eigene Faust ins Ausland. Vor allem aber kämpften sie als Soldaten fürs eigene Land. Bis ins 16. Jahrhundert hatten die eidgenössischen Orte noch Grossmacht-Ambitionen und versuchten ihre Gebiete zu erweitern.
Heimischer Frieden, fremder Krieg
Das änderte sich mit der Niederlage in der Schlacht bei Marignano im Jahr 1515. Diese und weitere verlorene Schlachten in jener Zeit waren so niederschmetternd, dass die Eidgenossen jegliche Expansions-Gelüste aufgaben. Nun waren die Bauernsöhne frei, zu jeder Zeit in fremden Kriegen zu kämpfen.
Laut Historiker Randolph Head änderte sich deshalb «nach 1515 weniger die Tatsache, dass sich Eidgenossen ausserhalb der Schweiz militärisch betätigten, sondern in wessen Interesse dies geschah.» Sie kämpften unter anderem für Frankreich, Spanien, Österreich, Savoyen, Ungarn oder die Niederlande.
Das ausgelagerte Kriegstreiben hatte ausserdem eine Professionalisierung des Söldnerwesens zur Folge. Schweizer Offiziere aus oft gut gestellten Familien wurden zu sogenannten Militärunternehmern. Sie rekrutierten auf den umliegenden Bauernhöfen junge Männer, bildeten sie aus und organisierten sie in Regimentern. Diese wurden von europäischen Königshäusern dann angeworben.
Wenige kamen zu Reichtum
Die eidgenössischen Regimenter waren begehrt. Bei Kriegen gegen Ende des 15. Jahrhunderts – etwa den Burgunderkriegen – hatten sich die Schweizer einen Ruf als ausgezeichnete und furchtlose Krieger erkämpft. Fortan waren die Eidgenossen mit ihren Langspiessen und Anderthalbhändern (Langschwertern) gefürchtete Gegner und beliebte Verbündete.
Viele Militärunternehmer häuften durch die fremden Kriege ein grosses Vermögen an. Bis Mitte des 17. Jahrhunderts betrugen ihre Gewinne jeweils ein Mehrfaches der Investitionen. Das Kriegstreiben wurde zum Familiengeschäft, bestimmte Geschlechter betrieben es über Generationen hinweg. Ihre Namen kennt man noch heute: Von Reding aus Schwyz, Erlach und Diesbach aus Bern oder Hertenstein, Feer und Pfyffer aus Luzern.
Auf der anderen Seite kam ein grosser Teil der Fusssoldaten entweder gar nicht zurück, waren verstümmelt oder verarmte. Die Soldaten wussten nicht, mit ihrem Sold umzugehen. Die Schweizer Söldner waren laut Historiker Head bekannt dafür, ihren Lohn für luxuriöse Kleider und andere Vergnügen zu verprassen und dadurch in Not zu geraten. Zudem litten sie in den fremden Diensten oft an Heimweh, das im umliegenden Europa deshalb als «Schweizerkrankheit» bekannt war.
Schweiz profitiert doppelt
Kritik an den fremden Diensten gab es deshalb bereits zu jenen Zeiten. Einerseits erkannten die Menschen, dass einzelne Personen profitierten, während andere verarmten oder gar starben. Andererseits schreibt die Historikerin Danièle Tosato, dass in der Schweiz die «moralische Verderbtheit der zurückgekehrten Söldner» beklagt wurde. Und: «In Frankreich kursierte das Bild der geldgierigen, skrupellosen, mit einem Wort barbarischen Schweizer das man gerne brauchte, um auf die Überlegenheit der französischen Zivilisation hinzuweisen.».
Die Wirtschaft auf dem Gebiet der heutigen Schweiz profitierte doppelt vom Söldnerwesen. Einerseits durch die Einnahmen der fremden Kriege. Andererseits aber auch, weil auf eigenem Grund nicht mehr gekämpft wurde. Die Kosten für die Kriege trugen die anderen, an den Gewinnen konnte man sich jedoch beteiligen. «Die Schatzkammern der Schweizer Städte waren so gut gefüllt, dass sie inner- und ausserhalb der Eidgenossenschaft als Kreditgeber auftreten konnten», schreibt Head.
Bruderkampf löst Umdenken aus
So blieb das Söldnerwesen über Jahrhunderte ein wichtiger Wirtschaftszweig für die Eidgenossenschaft. Die Wende kam mit dem Jahr 1709 und der Schlacht von Malplaquet. Damals leisteten Schweizer Söldner auf beiden Seiten der Kriegspartien Dienst und bekämpften und töteten sich deshalb gegenseitig. Bei diesem Bruderkampf starben rund 8000 Eidgenossen, was in der Schweiz zu heftigen Diskussionen führte.
Dieses und ähnliche Ereignisse läuteten den Niedergang des Söldnerwesens ein. Weil zudem der Profit im Laufe des 18. Jahrhunderts stetig schrumpfte und die frühe Industrialisierung bald für andere Arbeitsmöglichkeiten sorgte, gingen immer weniger Schweizer in die Fremden Dienste. Im Jahr 1859 – eine gute Dekade nach Gründung des modernen Bundesstaates – wurde der Waffendienst für eine fremde Macht schliesslich definitiv verboten. Der Bundesrat darf Ausnahmen gewähren, eine davon ist etwa die Schweizergarde im Vatikan.
Ein entsprechendes Gesetz ist bis heute in Kraft. Es besagt, dass «der Schweizer, der ohne Erlaubnis des Bundesrates in fremden Militärdienst eintritt» mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft wird. Doppelbürgern ist der Militärdienst im anderen Heimatland erlaubt.
Vereinzelt dienen bis heute junge Schweizer Männer in der französischen Fremdenlegion. Rund 2200 sollen nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute für Frankreich in den Krieg gezogen sein. Im Gegensatz zu ihren Vorfahren machen sie sich strafbar.