«Die beliebteste Form von Körperstrafen sind Schläge auf den Hintern, mit der Hand.» Oder: «Die Kinder kalt abduschen ist in der Romandie eine manchmal bis sehr häufig eingesetzte Massnahme.» Das sind Zitate aus der Studie der Universität Freiburg über das Bestrafungsverhalten von Eltern.
Die Stiftung Kinderschutz hat weitere Zahlen: Ein Kind pro Schulklasse erleidet körperliche, fast jedes vierte Kind seelische Gewalt. Das müsse aufhören, sagte sich die Freiburger Mitte-Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach: «Ich bin überzeugt, dass dieses Thema sehr wichtig ist. Züchtigung hat heute keinen Platz mehr in der Erziehung.»
Bulliard-Marbach verlangte in einem Vorstoss, dass ein Züchtigungsverbot im Zivilgesetzbuch verankert wird; im ZGB sind unter anderem auch das Personen- und das Familienrecht geregelt. Schon jetzt haben Spitäler und Schulen eine Meldepflicht, wenn ihnen an einem Kind eine verdächtige Veränderung auffällt.
Doch ein Verbot bedeute Klarheit: Beratungsstellen, Beistände und Behörden hätten eine bessere Handhabe, um einzugreifen, sagt Ständerat und Rechtsanwalt Andrea Caroni. Eltern könnten sich nicht mehr herausreden: «Wenn ein Elternteil strafrechtlich belangt werden soll, weil er seine Kinder oft geschlagen hat, könnte man nicht mehr sagen: ‹Als Elternteil darf ich das aufgrund der elterlichen Erziehungsgewalt›.»
In einer Untersuchung schreibt das eidgenössische Gleichstellungsbüro, dass Kinder und Jugendliche von ausländischen Eltern doppelt so oft von häuslicher Gewalt betroffen sind wie Schweizer Kinder. Auch dort könne ein Gewaltverbot Klarheit bringen, sagt Caroni: «Viele dieser Menschen überlegen sich dann vielleicht, dass sie die Schweizer Rechtsordnung einhalten und ihre Aufenthaltsbewilligung verlängern oder sich sogar einbürgern lassen wollen – dann kriegen sie einen zusätzlichen Anreiz.»
Was ist «Gewalt»?
Caroni hat das Anliegen für ein Verbot von Gewalt in der Erziehung ursprünglich nicht unterstützt. Der Nutzen sei bescheiden. Es sei zu offen formuliert, Behörden und Gerichte könnten den Eltern zu viel in die Erziehung dreinreden. Gewalt könne sehr weitläufig ausgelegt werden, so Caroni: «Man könnte befürchten, dass es plötzlich psychische Gewalt sei, wenn ich meinem Kind zwei Mal nacheinander Netflix abstellt.»
Deswegen plädierte der FDP-Ständerat für eine «griffigere Fassung»: «Körperliche Strafen und andere Formen erniedrigender Gewalt sollten verboten sein.» Den Gewaltbegriff enger formulieren, klarer festlegen, was als Gewalt gilt: Dieser Antrag von Caroni fand in der Rechtskommission des Ständerates zu wenig Unterstützung. Dennoch hat sich Caroni jetzt hinter das Anliegen gestellt. Es sei besser, als nichts zu haben.
Auch Unbehagen im Rat
Die noch bis Ende Jahr zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter tönte heute im Rat an, dass der Bundesrat das Verbot möglichst konkret umsetzen wolle, obwohl die Regierung die neue gesetzliche Regelung ablehnt.
Auch SVP-Ständerat Jakob Stark äusserte im Rat Unbehagen. Er befürchte, dass ein Verbot kontraproduktiv sei: «Wir sollten Gewaltanwendung nicht pauschal verbieten, sondern sie in klaren Schranken den verantwortungsbewussten Eltern und Erziehenden zuweisen. So eben, wie es heute geregelt ist.»
Doch die Haltung der Mehrheit im Ständerat war klar: Die Schweiz soll wie weitere 23 europäische Staaten das Schlagen von Kindern gesetzlich verbieten.