Eigentlich sagen die ersten Worte der Medienmitteilungen vom Mittwoch alles: «Die SP Schweiz bedauert das Scheitern der Verhandlungen» und der Gewerkschaftsbund begrüsst den Entscheid des Bundesrats. Hinter Bedauern und Begrüssen verbergen sich unterschiedliche Perspektiven.
Die Gewerkschaft schaut vor allem auf ihre Schweizer Mitglieder und die Löhne – und dafür wäre das Rahmenabkommen eben nicht gut gewesen, sagt Daniel Lampart, Chefökonom des Gewerkschaftsbundes: «So sind wir erleichtert, dass der Bundesrat diese Verhandlungen abgebrochen hat. Das wäre mit grossen Schäden für den Lohnschutz verbunden gewesen.»
Die SP im Zwiespalt
Die SP als Partei will dagegen eine möglichst breite Schicht ansprechen, da genügt der Fokus auf die Schweizer Arbeitnehmenden nicht. SPler wie der Zürcher Aussenpolitiker Fabian Molina haben darum eine dezidiert internationale und europafreundliche Haltung.
Wenn sich die Gewerkschaften mit den Rechtspopulisten ins Bett legen – dann gewinnt immer die SVP.
Molina sagt: «Der Entscheid des Bundesrats war falsch, er ist eine Katastrophe. Gleichzeitig ist er aber auch eine Chance sich grundsätzlich zu überlegen, welchen Platz die Schweiz in Europa einnehmen will.»
Auf das «neue» Europa hätten sich die Gewerkschaften einlassen sollen, statt einfach den Lohnschutz zu verteidigen. So hätten sie der SVP in die Hände gespielt. «Es war ein historischer Fehler: Wenn sich die Gewerkschaften mit den Rechtspopulisten ins Bett legen, gewinnt immer die SVP.» Jetzt sei es an der SP ihre Europapolitik neu zu denken – zum Beispiel in Richtung EU-Beitrittsverhandlungen.
Wir wissen alle, dass die Bereitschaft der Bevölkerung für einen EU-Betritt zum jetzigen Zeitpunkt sehr gering ist.
Pierre-Yves Maillard ist Präsident des Gewerkschaftsbundes – und SP-Nationalrat wie Molina. Nur denkt er hier völlig anders. «Wir wissen alle, dass die Bereitschaft der Bevölkerung für einen EU-Betritt zum jetzigen Zeitpunkt sehr gering ist.» Weshalb das zurzeit höchstens eine Gedankenspielerei sei.
Die EU möge hehre Prinzipien haben, aber in vielen Mitgliedsstaaten gäbe es Lohndruck und viele prekäre Arbeitsverhältnisse. Und gar nicht gern hört Maillard den Vorwurf, die Gewerkschaften hätten mit der SVP gemeinsame Sache gemacht. Es seien die Gewerkschaften gewesen, die an vorderster Front die SVP-Initiative gegen die Personenfreizügigkeit gebodigt hätten: «Unser Engagement war entscheidend, das haben alle gesagt!»
Maillard spielt die europapolitischen Gräben in der SP herunter. Entscheidend sei, dass die Zusammenarbeit zwischen Sozialpartnern, Linken und Bürgerlichen gegen die SVP in der Europafrage wiederbelebt werde.
Ein Wunsch, den auch SP-Co-Präsident Cédric Wermuth hat. Er räumt aber ein, dass es zuerst eine parteiinterne Findungsphase braucht: «Wir sind uns lebhafte Diskussionen gewohnt und wollen diese auch. Wir haben uns nicht vor unserer Basis zu versteckt. Unsere Aufgabe ist es, diese Fragen offen zu stellen und dann zu entscheiden: Was ist die richtige Option?»
SP vor Grundsatzdebatte
Für Wermuth selber stellt sich jetzt, wie für Parteifreund Molina, ernsthaft die Frage von Beitrittsverhandlungen. Solche gäben der Schweiz mehr Spielraum als man beim Feilschen um das Rahmenabkommen gehabt habe, glaubt der SP-Präsident.
Die SP steht also vor einer schwierigen europapolitischen Grundsatzdebatte – Gewerkschaftsflügel und Europafreunde liegen weit auseinander. Welchen Kurs die Partei einschlägt, ist von einiger Bedeutung. Er dürfte mitentscheidend sein über den Wahlerfolg SP in gut zwei Jahren.