«Mehr denn je können es Gesellschaften sich nicht leisten, auf die Fähigkeiten, Ideen und Perspektiven der Hälfte der Menschheit zu verzichten», kommentiert WEF-Gründer Klaus Schwab den «Global Gender Gap Report 2018».
Trotz anderslautender Beteuerungen von Wirtschaft und Politik «leistet» sich aber auch die Schweiz genau das: Die wirtschaftliche Gleichstellung von Männern und Frauen ist immer noch nicht Tatsache.
Die Schweiz hat Nachholbedarf
Beim Zugang zum Arbeitsmarkt ist die Entwicklung gar rückläufig. Vor allem in technischen Berufen, die zukünftig mehr Gewicht einnehmen werden, sind Frauen stark untervertreten. Doch was läuft falsch in der Schweiz?
«Wird sind schlicht zu altmodisch», sagt Helena Trachsel. Für die Leiterin der Zürcher Fachstelle für Gleichstellung basieren die gesellschaftlichen Werte in der Schweiz nach wie vor auf traditionellen Rollenbildern: «Diese Vorstellungen stammen aus der Nachkriegszeit und haben die Modernisierung der Gesellschaft nicht mitgemacht.»
Bei der Förderung von Mädchen und jungen Frauen wird zu wenig getan.
Von den Kitas bis zur Hochschule würden traditionelle Rollenbilder gepflegt. Und auch in der Erziehung würden diese Stereotypen verfestigt: «Das alles prägt uns seit der Kindheit und hindert uns daran, auszubrechen. Denn sonst muss man einiges aushalten.» Es werde noch Jahrzehnte dauern, diese Vorstellungen aus den Köpfen der Menschen zu kriegen.
Allerdings werden Mädchen schon länger ermuntert, in neue Berufsfelder einzusteigen. Trotzdem gibt es bei Frauen in Kaderpositionen und in der Wissenschaft weiter Aufholbedarf in der Schweiz. Für Trachsel sind die Bemühungen von Wirtschaft und Politik denn auch ungenügend: «Bei der Förderung von Mädchen und jungen Frauen wird zu wenig getan.»
Wirtschaftsvertreter monieren immer wieder, dass Frauen seltener bereit seien, Führungspositionen zu übernehmen. Trachsel ruft auch die Frauen dazu auf, die männlich ausgestaltete Arbeitswelt zu hinterfragen und mehr Selbstbewusstsein an den Tag zu legen: «Es gilt, die inneren Vorurteile und Ängste bezüglich Karriere zu überwinden, die beide Geschlechter in sich tragen», sagt die Gleichstellungsbeauftragte.
Die Firmen müssen flexibler werden und einsehen, dass sich die Investition in junge Familien lohnt.
Die Männer wiederum müssten den Mut haben, vom «Ernährerprinzip» abzuweichen: «Sie müssen zur Einsicht gelangen, dass es keinen Karriereknick bedeutet, wenn sich Mann und Frau die Aufgaben teilen.» Und es brauche eine gesellschaftliche Lösung auf die Frage, wer die vielen Millionen Betreuungsstunden übernehmen solle, die Frauen gratis leisten würden.
Mehr Flexibilität von Wirtschaft und Politik
Arbeitgeber, ja die ganze Gesellschaft müssten bereit sein, diese Verhaltensänderung mitzutragen: «Die Firmen müssen flexibler werden und einsehen, dass sich die Investition in junge Familien lohnt.» Die junge Generation fordere zu Recht eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Sie würde ein Umdenken seitens der Unternehmen auch mit mehr Loyalität zurückzahlen.
Schliesslich müssten die «vielen klugen Köpfe» in der Politik antizipieren statt reagieren und sich fragen, was es für die Zukunft brauche. Trachsels Antwort: «Im privaten wie im beruflichen Leben braucht es Frauen und Männer. Also stellt euch darauf ein und verändert die sozialen Systeme und schafft etwa Steuererleichterungen, damit die Tagesbetreuung einfacher wird.»