Was bei uns zum Mittagessen auf den Teller kommt, bestimmt die Köchin oder der Koch. Aber auch die Grossverteiler, die unseren Menüplan über ihr Angebot im Supermarkt steuern. Letztlich reden auch international tätige Saatgut-Unternehmen wie Monsanto oder Syngenta ein gewichtiges Wort mit, wenn es um die Frage geht, was wir essen. Es seien die grossen Unternehmen, die den Saatgutmarkt dominieren. «Allein über ihre Entscheidung, welche Kulturen und welche Eigenschaften sie züchterisch bearbeiten, haben sie einen wesentlichen Einfluss darauf, was auf unserem Teller landet», sagt Agronomin und Saatgutspezialistin Eva Gelinsky,
Macht der Saatgutkonzerne unter der Lupe
Gelinsky unterstützt die Anliegen der Initiative für Ernährungssouveränität, ohne Mitglied des Initiativkomitees zu sein. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen zum Saatgut und berät als Expertin Nicht-Regierungsorganisationen wie Pro Specie Rara aber auch staatliche Stellen wie das Bundesamt für Umwelt.
Die Expertin sieht die Macht der Saatgutkonzerne kritisch. «Es ist ein Problem, weil diese Firmen spezifische Interessen verfolgen. Sie bearbeiten nur spezifische Kulturen züchterisch bearbeiten und statten sie mit spezifischen Eigenschaften aus. Das sind nicht unbedingt die Kulturen und Eigenschaften, die wir in der Schweiz in Zukunft brauchen, insbesondere bezogen auf den Klimawandel.»
Zurzeit beherrschen drei global tätige Saatguthersteller rund 60 Prozent des kommerziellen Saatgutmarktes. Sie bestimmen, was auf den Feldern wächst und welches Gemüse in die Läden kommt. Der Markt ist strengen Regeln unterworfen. Neues Saatgut muss geprüft und offiziell zugelassen werden, bevor es verkauft werden darf. Zudem ist Saatgut teils durch Sortenschutz oder gar Patente geschützt, es gibt internationale Abkommen, die den Handel regeln. Auch dürfen Landwirte Saatgut nur unter bestimmten Bedingungen nachbauen und tauschen. Häufig müssen sie dafür Gebühren bezahlen.
Das Recht der Bauern auf Nutzung des Saatguts
Gegen diese Form der industrialisierten und globalisierten Landwirtschaft wendet sich die Initiative für Ernährungssouveränität. Sie verlangt im Initiativtext explizit, dass Landwirte das Recht auf Nutzung, Vermehrung, Austausch und Vermarktung von Saatgut haben. Diese Forderung unterstreicht das Bild einer kleinräumig organisierten Landwirtschaft.
Ernährungssouveränität, wie sie die Initiative verlangt, sei ohne Saatgutsouveränität gar nicht möglich, sagt Gelinsky. «Bauern und Bäuerinnen müssen frei über ihre Produktionsmittel verfügen können. Und Saatgut ist da zentral.»
In der produzierenden Landwirtschaft, in der Hochleistungssorten eine entscheidende Rolle spielen, herrscht ein anderes Bild. Hier dominieren die Sorten der Saatgutmultis. Viele der eingesetzten Pflanzen liefern hohe Erträge, eignen sich aber nicht für die Saatgutvermehrung.
Arbeitsteilung zwischen Bauern und Konzernen
Zwischen den Bauern und den Saatgutherstellern findet eine Arbeitsteilung statt. Diese findet Alwin Kopse sinnvoll. Kopse leitet im Bundesamt für Landwirtschaft den Fachbereich internationale Angelegenheiten und Ernährungssicherheit. «Es wäre falsch, so weit zurückgehen zu wollen, dass alle Bauern wieder Züchter werden.» Zumal der Saatgutmarkt ein sehr spezieller Markt ist. «Es gibt praktisch für jede Art einen eigenen Markt. Kurz gesagt, der Markt ist hochspezialisiert.»
In der Schweiz sei zudem vieles von dem, was die Initiative im Bereich Saatgut verlange, schon heute möglich. So hat die Schweiz als eines der ersten Länder die Vermarktung von Nischensorten erlaubt. Bauern und Züchter dürfen alte Landsorten vermehren und verkaufen. International setze sich die Schweiz dafür ein, dass verschiedene Saatgutsysteme erhalten blieben.
Eine Situation wie früher: Viel schlechtes Saatgut
Ein Ja zur Initiative für Ernährungssouveränität wäre für Kopse deshalb ein grosser Schritt zurück. Die Initiative würde zu einem System der 20er- und 30er-Jahre führen, sagt er. «Im Bereich Saatgut würde eine Situation entstehen, wie man sie vielleicht zu Beginn des 19. und 20. Jahrhunderts hatte, als sehr viel schlechtes Saatgut auf den Markt kam.»
Mit dieser Einschätzung des Experten des Bundes ist die selbständige Saatgutspezialistin Gelinsky nicht einverstanden. Sie sieht in der Initiative keinen Rück-, sondern einen Fortschritt für die Landwirtschaft. «Es ist eher ein zukünftiges Bild, das noch stärker geschärft werden muss. Die Privatisierung dieser zentralen Produktionsmittel, Land, Wasser, Saatgut, wird auf Dauer nicht funktionieren. Da einen anderen Weg einzuschlagen, ist, glaube ich, notwendig.»
Einig sind sich die beiden Experten nur in der Beurteilung, dass ein Ja zur Initiative für Ernährungssouveränität die Landwirtschaft in der Schweiz nachhaltig verändern würde.