Die Armee habe absolut keine Finanzprobleme. Bei ihr laufe alles völlig normal. Das sagte Verteidigungsministerin Viola Amherd vor drei Wochen an einer Medienkonferenz, nachdem Radio SRF gestützt auf ein Armee-Dokument über massive Finanzengpässe in der Armeekasse berichtet hatte. Nun liegt Radio SRF ein weiteres Dokument vor, das vom Finanzchef der Armee stammt. Es weicht von der Darstellung von VBS-Chefin Amherd ab.
Dass die Schweizer Armee die Umsetzung geplanter Rüstungsgeschäfte im Umfang von mehreren Hundert Millionen Franken auf später verschieben muss, ist für Verteidigungsministerin Viola Amherd ein völlig normaler Vorgang: «Die aktuelle Situation ist nicht aussergewöhnlich», sagte die VBS-Chefin Mitte Februar an einer Medienkonferenz. Später doppelte Amherd im Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» nach, Radio SRF habe aus einem Armeepapier Schlüsse gezogen, die «einfach falsch» seien.
Klartext in Aktennotiz
Doch nun liegt ein weiteres Dokument des Finanzchefs der Schweizer Armee vor, das SRF gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz vom VBS herausverlangt hat. In der dreiseitigen «Aktennotiz» vom 15. Dezember, die an Armeechef Thomas Süssli gerichtet ist – mit Kopie ans Generalsekretariat von Bundespräsidentin Amherd – spricht Armee-Finanzchef Gerhard Jakob gleich im ersten Satz Klartext: «Bekanntlich bestehen in den nächsten Jahren in der Armee grosse Finanzierungsengpässe.» Und der Finanzchef macht deutlich, dass es dabei nicht um blosse Planzahlen gehe. In einer Klammer verwendet er den Begriff: «Cash».
Zu den «grossen Finanzierungsengpässen» geführt habe unter anderem, dass sich das Verteidigungsdepartement in den Jahren 2020 bis 2024 deutlich höhere Rüstungsprogramme habe bewilligen lassen als von der Armee ursprünglich geplant. «Plus 2.5 Milliarden Franken», rechnet Jakob vor, der seit fast zwei Jahrzehnten als Finanzchef der Armee waltet.
Weiter seien die Ausgaben für den Betrieb der Armee höher als budgetiert. Und der Armee fehle Geld, weil das VBS Gelder aus ihrem Budget für andere Zwecke eingesetzt habe. Jakob formuliert es so: «Zudem wurden der Armee in den vergangenen Jahren auch mehrfach Mittel aus dem Zahlungsrahmen zugunsten anderer Prioritäten im VBS entnommen.»
Der Finanzchef warnt
Das VBS erklärt auf Nachfrage dazu, das VBS habe rund 90 Millionen Franken von der Gruppe Verteidigung und dem Bundesamt für Rüstung zu anderen Verwaltungseinheiten verschoben, insbesondere um Personal im Bereich der Cyberabwehr und des Nachrichtendiensts des Bundes zu finanzieren.
Die skizzierten finanziellen Engpässe werden sich nicht im Jahre 2024 auflösen, sondern sich in den folgenden Jahren ohne rechtzeitige Gegenmassnahmen unter Umständen noch verstärken.
Insgesamt fehlten zur Finanzierung von Rüstungsvorhaben in diesem Jahr 600 bis 700 Millionen Franken, stellt der Finanzchef fest. Und er warnt, je nachdem, wie viel Geld das Parlament in den nächsten Jahren für die Armee bewillige, werde sich die Situation noch «verschärfen». Bereits eingegangene Verpflichtungen könnten dann nicht mehr bezahlt und Vorhaben müssten abgebrochen werden. In fettgedruckten Buchstaben warnt der Finanzchef:
«Die skizzierten finanziellen Engpässe werden sich nicht im Jahre 2024 auflösen, sondern sich in den folgenden Jahren ohne rechtzeitige Gegenmassnahmen unter Umständen noch verstärken und bis gegen Ende der 20er Jahre hinziehen.»
Wackelt gar Rüstungsprogramm 2024?
Zwar habe man geplante Rüstungsprojekte im Umfang von 750 Millionen «on hold» gesetzt und auf später verschoben. Doch dies werde «unweigerlich» zu höheren Ausgaben in den kommenden Jahren führen. Unter Umständen, hält Jakob fest, «muss sogar noch einmal über das Rüstungsprogramm 2024 gesprochen werden».
Und aus der Aktennotiz geht weiter hervor, dass die Rüstungskasse dringend Geld benötigt. Anfang November habe die Armeeführung Einsparungen bei der Armee in der Höhe von 20 bis 30 Millionen Franken beschlossen. «Diese Mittel müssen umgehend der Rüstung zugeführt werden.» Und das genüge noch nicht, mahnt der Finanzchef: «Weitere Einsparungen in den Betriebsausgaben sind (…) unvermeidlich und zwingend.»
Auf Nachfrage von Radio SRF erklärt das Verteidigungsdepartement, sämtliche Aussagen von Finanzchef Jakob in der «Aktennotiz» seien zutreffend. Alle Rüstungsvorhaben würden aber «normal weiterlaufen». Und das VBS hält weiter daran fest, «grundsätzlich» sei dies ein «normaler Prozess».