Die Eidgenössischen Wahlen liegen genau zwei Jahre zurück, die nächsten finden in genau zwei Jahren statt. Die Bilanz zeigt: Der erwartete Rechtsrutsch ist ausgeblieben. Bei vielen Vorlagen setzte sich im Parlament die Mitte-links-Politik durch – trotz einer knappen Mehrheit von SVP und FDP, also Mitte-rechts.
Der Beitrag dazu auf SRF News hat unter den Lesern eine hitzige Debatte ausgelöst. Marc Bühlmann, Politologe an der Universität Bern, hat sich einige der Reaktionen genauer angeschaut. Ein Leser fragt zum Beispiel in einem Kommentar, ob der ausgebliebene Rechtsrutsch nun zeige, dass einige «vermeintliche Mitte-rechts-Parteien» oft doch links abstimmten.
Allianzen vor allem an Themen gebunden
Als Beispiele nennt der Kommentator die BDP, in Zuwanderungsfragen aber auch die FDP und CVP. Bühlmann stellt eine Gegenfrage: «Was bedeutet eigentlich links-rechts, was bedeutet Rechtsrutsch?» Die Achse, die man häufig brauche, um Positionen einzuteilen, sei zwar sehr eingängig. «Aber wahrscheinlich ist sie hie und da auch zu einfach.»
Die unterschiedlichen Koalitionen im Parlament seien stark themenabhängig. «Bei Armeefragen etwa steht in der Regel ein Bürgerblock gegen die Linke, wobei bei gesellschaftspolitisch-liberalen Fragen die CVP und wahrscheinlich auch die FDP und die GLP eher nach links tendieren», erklärt Bühlmann. Bei Energie- und umweltpolitischen Themen spannten wiederum meist die Linke und die Mitte, sprich CVP und BDP, allenfalls auch GLP, zusammen. Das sei gut so: «Man stelle sich vor, alle Parlamentarier würden immer strikt nach Parteibuch abstimmen.»
Die SVP hat mit ihrer Oppositionspolitik zwar viel Wahlerfolg, im Parlament gehört sie aber viel häufiger zur Verliererseite als früher.
Ein weiterer Kommentator schreibt, das Parlament sei heute deutlich rechter und neoliberaler als beispielsweise noch in den 1980er-Jahren. Damals sei ein solch rechtes Parlament unvorstellbar gewesen. «Das ist eine interessante Beobachtung», findet Bühlmann. «Tatsächlich: Es findet ein Wandel statt.»
SVP gegen den Rest der Parlamentarier
Aber Wandel sei etwas, das in Demokratien absolut notwendig sei. «Was wir feststellen, ist nicht unbedingt ein Rechtsrutsch, sondern eine Zunahme der Polarisierung.» Früher sei es häufiger vorgekommen, dass alle vier Bundesratsparteien zusammen für oder gegen ein Thema einstanden. «Das gibt es heute fast nicht mehr», erklärt der Politologe.
Eine der häufigsten Konstellation sei jene der SP gegen den bürgerlichen Block gewesen. Auch diese gebe es heute kaum noch. «Was stark zugenommen hat, ist die Konstellation der SVP gegen den ganzen Rest», so Bühlmann weiter. «Das führt zwar einerseits dazu, dass die SVP mit ihrer Oppositionspolitik viel Wahlerfolg hat, im Parlament gehört sie aber viel häufiger zur Verliererseite als früher.»
Spielt die Geschlechterverteilung eine Rolle?
Schliesslich wirft ein Leser die Frage auf, inwiefern die Frauen verantwortlich seien für diese Bilanz. Derzeit sind im Nationalrat ein Drittel der Parlamentarier weiblich, im Ständerat sind es 15 Prozent. Bühlmann glaubt nicht, dass die Geschlechterverteilung eine Rolle spielt. Die Frage sei aber interessant.
Stimmen Frauen anders als Männer? Klar. Stimmen Romands anders als Deutschschweizer? Selbstverständlich. Hat Herr Köppel eine andere Meinung als Frau Rickli? Hoffentlich.
Denn man müsse sich grundsätzlich fragen: «Wofür stehen eigentlich Parlamentarierinnen und Parlamentarier? Wie müssen sie sich verhalten? Müssen sich Männer für Männer einsetzen, Frauen für Frauen? Müssen sie die Meinung der Partei vertreten oder sollen sie eine eigene Meinung haben? Müssen sie die eigene Wählerschaft vertreten, den eigenen Kanton?» Diese Diskussion habe man bei der Bundesratswahl exemplarisch verfolgen können.
Und letztlich stelle sich die Frage: «Stimmen Frauen anders ab als Männer? Klar. Stimmen Romands anders als Deutschschweizer? Selbstverständlich. Hat Herr Köppel eine andere Meinung als Frau Rickli? Auch hier gilt: Hoffentlich.» Denn Parlamentarier seien nichts weiter als Menschen, «denen wir zutrauen, dass sie für uns Lösungen finden». Zum Glück sei man nicht immer einer Meinung: «Wenn das so wäre, würde man wahrscheinlich keine gemeinsamen Lösungen finden.»