Es passiert in der Öffentlichkeit: auf der Strasse, in der Bar, im Bus. Und es passiert aus Hass: gegen queere Menschen, Jüdinnen und Juden, Menschen mit Migrationshintergrund. Seit Anfang 2023 erfasst die Kantonspolizei Bern sogenannte Hate Crimes. Also Delikte, bei denen Menschen aufgrund von Rassismus, Antisemitismus oder Queerfeindlichkeit beschimpft, bedroht oder gar körperlich angegriffen werden.
55 Fälle von Hate Crime hat die Kantonspolizei Bern im vergangenen Jahr verzeichnet. «Wir gehen davon aus, dass die Dunkelziffer deutlich höher ist», sagt Christian Brenzikofer, Kommandant der Kantonspolizei Bern. «Klar ist aber, jeder Fall ist einer zu viel. Hinter jedem Fall steht ein Mensch, der angegangen wurde und erschüttert ist.» Hassdelikte würden das friedliche Zusammenleben in der Gemeinschaft gefährden.
Die Zahlen zeigen: Rund die Hälfte der Meldungen betreffen Hassdelikte, denen rassistische, antisemitische oder antimuslimische Motive zugrunde liegen. Die andere Hälfte der gemeldeten Straftaten sind queerfeindlich motiviert: Die Täter oder die Täterin stören sich an der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität des Opfers.
Jeder Fall ist einer zu viel
Die Zahlen aus Bern seien wichtig, sagt Roman Heggli von Pink Cross, dem Dachverband der schwulen und bisexuellen Männer. «Mit Zahlen lässt sich belegen, wie gross das Problem ist und dass es Massnahmen braucht.» 55 Fälle in einem Jahr, das sei viel, sagt Heggli.
«Im Schnitt wurde jede Woche eine Person angegriffen und hat dies der Polizei gemeldet.» Auch er geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Hürde, einen Vorfall der Polizei zu melden, sei bei vielen Betroffenen noch immer sehr hoch. «Es braucht viel Mut und auch Zeit. Beides fehlt oft.»
Für Muriel Waeger von der Lesbenorganisation Schweiz (Los) ist klar: Die Beziehung zwischen der Queer-Community und der Polizei ist kompliziert. «Darum ist es für Betroffene oft schwierig, nach einem Delikt zur Polizei zu gehen.» Viele hätten Angst, nach der Diskriminierung auf der Strasse auf dem Polizeiposten ein zweites Mal diskriminiert zu werden. «Für uns war es darum wichtig, dass die Kapo Bern für die Befragungen mit queeren Menschen richtig geschult wird.»
Hate Crime zu erfassen, die Schulung der Polizistinnen und Polizisten der Kapo Bern – all das sei wichtig, sagt Muriel Waeger. Aber es reiche nicht. Die Lesbenorganisation Schweiz fordert einen nationalen Aktionsplan gegen Hassdelikte. «Unser Ziel ist es, dass alle Polizeikorps der Schweiz geschult werden. Nicht nur einzelne. Ausserdem ist es wichtig, dass die Zahlen national erfasst werden, dass es gute Beratungsangebote gibt, die auch finanziert werden.»