Worum es geht: Die Schweiz hat sich dafür ausgesprochen, der Wiederansiedlung einst heimischer Grossraubtiere wohlwollend zu begegnen. Seitdem sind sie auf dem Vormarsch: Wolf, Luchs und Bär. Gleichzeitig wird der Nutztierhalter im Tierschutzgesetz verpflichtet, seine Tiere angemessen zu hegen. Der Bauer darf seine Schafe nicht einfach vom Wolf fressen lassen. Wie er das verhindert, bleibt seine Entscheidung. Eine der effizientesten Methode stellt der Herdenschutzhund dar. Leider flössen diese Schutzhunde nicht nur Wölfen Angst ein, auch Wanderer fühlen sich bisweilen gestört. Doch was sind alternative Herdenschutz-Methoden und was taugen sie?
Der Nachtpferch: Die Schafe werden am Abend zusammengetrieben und hinter eine raubtiersichere Koppel gebracht. Diese Massnahme stellt einen hohen Schutz dar und lässt das Schaf ruhig schlafen. Würde es denn schlafen. Da Schafe nachts aber gerne fressen, ist ihre Haltung in einem Pferch eher kontraproduktiv. Zudem können durch die hohe Tierdichte an der Grasnarbe Schäden entstehen, wird der Pferch nicht oft verschoben. Ein weiterer Nachteil: Ohne Hirten, der die Tiere allabendlich mühsam zusammentreibt, funktioniert ein Nachtpferch nicht. Und schliesslich sind es oft topografische Begebenheiten (steil und steinig), die es unmöglich machen, solche Nachtpferche zu erstellen.
Weidezäune und -netze: In der Schweizer Kleinviehhaltung werden auf Frühlings- und Herbstweiden standardmässig Zäune eingesetzt. Als Grundschutz gelten in der Schweiz 90 Zentimeter hohe elektrifizierte Weidenetze und elektrifizierte Litzenzäune. Vorausgesetzt die Zäune sind korrekt montiert und ordentlich unter Spannung gesetzt, bieten sie einen guten Schutz gegen den Wolf. Und der Bauer kann sie im Talboden auch mit einem angemessenen Zeitaufwand erstellen.
Anders schaut es auf den Sommerweiden aus. Oben auf einer der rund 200 Alpen der Schweiz ist das Zäunen deutlich aufwändiger. Es sind weitere Strecken zu überwinden, in einer anspruchsvollen Topographie. Unter grossen Einzäunungen leiden überdies andere Wildtiere. Es kann ferner rasch ein Ding der Unmöglichkeit werden, Zäune zu bauen, die nirgends Unterschlupfmöglichkeiten bieten. Denn Erfahrungen zeigen, dass Wölfe eher versuchen, den Zaun zu untergraben als ihn zu überspringen. Und schliesslich fehlt oft ganz einfach die Energie, um grosse Weidezäune elektrisch zu unterhalten.
Schutz durch Hirten: Wohlgemerkt ist der Mensch der grösste Feind von Wolf, Luchs und Bär. Was liegt also näher, als die Schaf- und Kälberherden von Menschen, sprich von Hirten, beschützen zu lassen? Ausgerüstet mit Lampen, Sirenen und Elektroschockstöcken wären diese wohl leicht in der Lage, ganze Rudel abzuwehren – wenn sich überhaupt ein Raubtier in ihre Nähe wagen würde. Der wohl grösste Nachteil an einem intensiven Hirten ist der Hirte selber. Denn er kostet viel Geld, mit dem man bis zum Ende der Saison einige Zäune und wohl auch einen Herdenschutzhund hätte anschaffen können. Zudem sind ausgebildete Hirten gar nicht mal so einfach zu finden.
Schutz durch Lamas: Die Schutzwirkung der Lamas beruht auf einer natürlichen Abneigung gegenüber fremden Eindringlingen. Ihre Abneigung gilt vor allem hundeartigen Raubtieren. Lamas sind überdies nett. Sie können zu verschiedenen Tierarten eine soziale Bindung aufbauen. Wenn ihnen da jemand in die Parade fährt, verteidigen sie ihre Bekannten mittels Beissen, Ausschlagen, Schreien, Spucken und Wegdrücken. Lamas sind auch nicht sehr anspruchsvoll. Sie können ohne grossen Arbeitsaufwand und ohne Schwierigkeiten mit den Schafen zusammengehalten werden. Sie essen das gleiche, sind wenig krankheitsanfällig und werden erst noch bis zu 20 Jahre alt. Ausserdem reagieren sie auch gegenüber Menschen gelassen und können so gut in touristischem Gebiet eingesetzt werden. Ihr einziger Nachteil: Ihre Schutzwirkung gegenüber den geschützten Grossraubtieren (Wolf, Luchs, Bär) ist nicht wissenschaftlich nachgewiesen. Erfahrungen haben gezeigt, dass sich Lamas nur für den Schutz von kompakten Schafherden mit nicht mehr als 250 Tieren eignen. Ausserdem sollte die Weide übersichtlich und nicht zu gross sein. Im Talbetrieb ist dies häufig gegeben, auf der Alp oft weniger.
Schutz durch Esel: Vom Schutz einer Herde durch Esel ist man bei der landwirtschaftlichen Beratungszentrale «Agridea» inzwischen wieder weggekommen. Ursprünglich hat man die pflegeleichten Helfer erfolgreich gegen wilde und streunende Hunde eingesetzt. Für den Einsatz gegen den Wolf haben sie gegenüber Lamas aber zwei gewichtige Nachteile. Zum einen können Esel nur einzeln zum Einsatz kommen. Ist ein Artgenosse in der Gegend, schwindet das Interesse des Schutzesels für die Schafe frappant. Ein einzelner Esel kann dann aber beim Angriff mehrerer Wölfe leicht selber zum Opfer werden. Und zweitens liegt ihre soziale Bindungsfähigkeit weit tiefer als jene von Lamas oder natürlich auch von Herdenschutzhunden. Darum sind sie höchsten zum Schutz von sehr kleinen Herden im Unterland geeignet.
Blinklampen und akustische Vergrämung: Die vergangenen Jahre hat man bei «Agridea» verschiedentlich mit diesen niederschwelligen Methoden gearbeitet und diese getestet. Die Organisation für die Entwicklung der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes, die im Herdenschutz mit dem Bafu zusammenarbeitet, hält Vergrämungsmethoden nur im kurzfristigen Einsatz für geeignet. Mit alternierenden Lichtblitzen, mit lauten Tönen aus Alarmgeräten oder auch mit Flatterbändern lassen sich Wölfe oder Bären zwar oft vertreiben, aber für eine Sommerweide ohne Hirt reicht das nicht aus. Wölfe können schnell lernen, dass diese Vergrämungsmethoden harmlos sind. Zudem eignen sie sich nur in eingezäunten Weiden. Schliesslich soll nur der Wolf verduften und nicht die ganze Herde.
Fazit: Herdenschutz ist unabdingbar und wird sich mit zunehmender Verbreitung der Grossraubtiere in der ganzen Schweiz durchsetzen. Den perfekten Herdenschutz gibt es indes nicht, er muss von Alp zu Alp entwickelt und mit geeigneten Massnahmen umgesetzt werden. Der Bund berät dabei die Kantone, welche die erarbeiteten Vorschläge an die Bauern weitergeben und sie auch finanziell unterstützen. Und schliesslich steht und fällt ein effektiver Herdenschutz mit dem Menschen, wie Martin Baumann, stv. Sektionschef der Sektion Wildtiere beim Bafu, bei SRF erklärt. «Die Vorfälle mit den Hunden bedauern wir», sagt Baumann. Alle müssten sich einfach richtig verhalten. Der Bauer, der Hirte und die Menschen, die in der Natur Erholung suchen.