Es ist der erste Kriegsverbrecherprozess der Schweiz: Die Bundesanwaltschaft klagt einen heute 45-jährigen Liberianer an. Ihre Anklageschrift listet minutiös die Taten auf, die der Mann im ersten liberianischen Bürgerkrieg Anfang der 1990er-Jahre verübt haben soll.
Die Liste ist lang: Der damalige Rebellenführer soll in einem der blutigsten Bürgerkriege Afrikas den Auftrag gegeben haben, Soldaten und Zivilisten zu töten. Zudem soll er selbst gemordet, einen Kindersoldaten rekrutiert, eine Frau vergewaltigt und Plünderungen veranlasst haben. Ihm wird zudem vorgeworfen, das Herz eines getöteten Zivilisten gegessen zu haben.
Der Angeklagte erscheint in der Anklageschrift als eiskalter Auftragsgeber. Nachdem er einen Zivilisten grausam ermordet hatte, sah er glücklich aus, heisst es darin.
Angeklagter lebte unbemerkt in der Schweiz
Der 45-Jährige hat in der Schweiz Asyl beantragt, woraufhin die Nichtregierungsorganisation Civitas Maxima die Bundesanwaltschaft auf den Fall aufmerksam machte. Die NGO hatte im Namen der Opfer Strafklage eingereicht.
Eigentlich wollten Opfer und Zeugen vor Ort in Bellinzona sein. Doch wegen der ungünstigen Pandemie-Situation hat das Bundesstrafgericht entschieden, dass Klägerinnen und Zeuginnen nicht aus Liberia einreisen können. Bereits zum dritten Mal in Folge wurde der Prozess wegen der Pandemie verschoben.
Dieser Prozess hilft, das Risiko für künftige Kriege zu mindern.
All diese Verzögerungen seien frustrierend, so NGO-Mitarbeiter. Die Hauptsache aber sei, dass der Prozess nun stattfinde. So sagt zum Beispiel Bénédict de Moerloose, Anwalt der NGO Trial International: «Für Liberia ist dieser Prozess sehr wichtig. Zum ersten Mal überhaupt muss sich ein Liberianer wegen Kriegsverbrechen vor einem Gericht verantworten. Für die traumatisierten Opfer ist das zentral. Dieser Prozess hilft, das Risiko für künftige Kriege zu mindern.»
Nichtregierungsorganisationen hoffen, dass künftig vermehrt internationale Kriegsverbrecherprozesse in der Schweiz stattfinden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist fraglich, ob das der Fall sein wird, denn solche Prozesse sind sehr aufwendig. Meist handelt es sich um reine Indizienprozesse. Rechtsvertreter stellen infrage, ob die Bundesanwaltschaft dafür genügend Mittel hat.
Sechs Jahre in Untersuchungshaft
Dass der Fall schwierig ist, zeigt allein die Tatsache, dass der Angeklagte sechs Jahre in Untersuchungshaft verbracht hat. Laut Rechtswissenschaftlern und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen eine zu lange Zeit.
Die Rechtsgrundlage der universellen Gerichtsbarkeit besagt, dass schwere Menschenrechtsverletzungen überall verfolgt werden können, egal, wo die Tat begangen wurde und welche Staatsangehörigkeit die Täter oder Opfer besitzen. Weil die Schweiz alle nötigen Abkommen ratifiziert hat, ist sie gesetzlich verpflichtet, grausame Verbrechen aufzuklären.