Nationalratspräsidentin Irène Kälin wird heute Mittwoch mit einer Ratsdelegation nach Kiew reisen. Was sie sich davon erhofft und ob sie Angst hat, in ein Kriegsgebiet zu reisen, erzählt die höchste Schweizerin im Interview.
SRF News: Welchen Zweck hat diese Reise in die Ukraine?
Irène Kälin: Ich habe eine offizielle Einladung des ukrainischen Parlamentspräsidenten bekommen, der sich offenbar dieses Zeichen der Solidarität, das ja auch schon ganz viele Persönlichkeiten aus dem europäischen Kontext vor mir gemacht haben, in der Ukraine wünscht. Ich habe beschlossen, dass das das Mindeste ist, was ich tun kann. In so einer schwierigen Situation gehe ich vor Ort, um ihm und den Ukrainerinnen und Ukrainern die Schweizer Solidarität zu zeigen.
Was können Sie in die Ukraine mitbringen, ausser dieses Zeichen der Solidarität?
Das ist eine gute und auch eine schwierige Frage. Natürlich würde man sehr gerne etwas mitbringen können. Ich bin aber nicht diejenige in unserem Land, die die Aussenpolitik macht. Dafür müsste Bundespräsident und Aussenminister Cassis vor Ort gehen.
Ich bin nicht für die Aussenpolitik zuständig. Dafür müsste Bundespräsident Cassis vor Ort gehen.
Ich kann tatsächlich nur das bestätigen, was wir bereits an humanitären Hilfsgütern zur Verfügung stellen. Auch wären wir weiterhin bereit, unsere guten Dienste anzubieten, sodass es auf Schweizer Boden zu Friedensverhandlungen kommen könnte oder kommen sollte. Aber sonst bin ich nicht die Richtige, um Geschenke oder Versprechungen machen zu können. Die Solidarität, die ich vor Ort mitbringe, muss im Moment reichen.
Ist ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski vorgesehen?
Das Programm ist noch sehr volatil und ich darf dazu auch noch nicht viel sagen. Ganz klar ist, dass ich den Parlamentspräsidenten treffen werde. Von ihm wurde ich eingeladen und er ist auch mein Gegenüber in der Ukraine.
Es ist eine Reise in ein Kriegsgebiet. Haben Sie keine Angst?
Angst um meine eigene Sicherheit und die Sicherheit meiner Delegation habe ich tatsächlich nicht. Aber als Mensch, der ich ja auch weiterhin bleibe, hinter meiner Funktion, habe ich grossen Respekt. Für meine Funktion ist es einfach, zu gehen. Ich bin in einer sehr friedlichen Welt gross geworden. Ich war noch nie in einem Kriegsgebiet. Ich bin ziemlich sicher, dass mich das irgendwo durchschütteln wird und davor habe ich grossen Respekt.
Ist für Sie persönlich diese Reise mit der schweizerischen Neutralität vereinbar?
Das ist sie absolut, so wie es auch mit unserer Neutralität vereinbar ist, dass wir die Sanktionen nachvollzogen haben. Ich glaube, das Neutralitätsrecht gibt es wirklich im engeren Sinne. Das halten wir weiterhin ein. Wir begünstigen keine Kriegspartei.
Es ist auch neutral, vor Ort zu gehen und zu sagen, dass wir bedingungslos auf der Seite des Völkerrechts stehen.
Aber dann gibt es auch die aktive Neutralitätspolitik. Bei dieser finde ich, müssen und sollen wir uns bedingungslos für das Völkerrecht einsetzen. In der Ukraine wird das Völkerrecht gerade mit Waffengewalt und mit Füssen aus dem Weg geräumt. Und da denke ich, ist es auch neutral, vor Ort zu gehen und zu sagen, dass wir bedingungslos auf der Seite des Völkerrechts stehen.
Der Krieg ist auch immer ein Informationskrieg. Befürchten Sie nicht, dass Bilder von Ihnen in der Ukraine zu Propagandazwecken missbraucht werden könnten?
Ja und nein. Mir ist bewusst, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer vielleicht sogar das grössere Interesse an diesen Bildern haben wie ich selber. Und nichtsdestotrotz finde ich, sind ja gerade auch diese Bilder Ausdruck, dass wir zusammenstehen. Ausdruck, dass wir dieselben Werte haben. Sie müssen diese Werte jetzt mit Waffengewalt verteidigen. Und da ist es doch nicht mehr als anständig und recht, wenn ich auch auf diesem Bild bin und sage, ihr habt unsere Solidarität.
Das Gespräch führte Sabine Gorgé.