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IKRK-Präsidentin warnt «Kampagnen gegen das IKRK haben gefährliches Ausmass angenommen»

  • IKRK-Präsidentin Mirjana Spoljaric kritisiert die Kriegsparteien im Gaza-Konflikt scharf.
  • Zu möglichen Kriegsverbrechen schweigt sie. Sonst drohe die Ausweisung der IKRK-Helfer aus Gaza.
  • Das IKRK ist vermehrt Ziel politischer Kampagnen. Spoljaric sieht ihre eigene Sicherheit und die ihrer Mitarbeitenden in Gefahr.

    «In Gaza gibt es keine menschliche Würde mehr», sagt Mirjana Spoljaric in der SRF-Samstagsrundschau. Das IKRK sei kaum noch in der Lage, humanitäre Hilfe zu leisten. «Die Menschen sind jeglicher Form von Gewalt ausgeliefert», so die IKRK-Präsidentin. Alles gehe in Richtung totale Zerstörung von Gaza. Israel und die Hamas fehle der politische Wille, mit dem IKRK zusammenzuarbeiten.

«Dürfen Ausweisung aus Gaza nicht riskieren»

Die Menschenrechts-Organisation Amnesty International kam diese Woche zum Schluss, Israel begehe im Gazastreifen Völkermord. Ein Bericht über Kriegsverbrechen der Terrororganisation Hamas steht noch aus.

Jeder Arzt, jede Ärztin, die im Gazastreifen weiterarbeiten kann, hilft ein Kind zu retten. Und auf diese Möglichkeit können wir nicht verzichten.

Das IKRK kommentiert mögliche Kriegsverbrechen nicht. Man rede aber in vertraulichen, bilateralen Gesprächen mit Israel Klartext. Würde sich das IKRK öffentlich äussern, so Spoljaric, dann riskiere es, dass seine Hilfsteams ausgewiesen würden. «Jeder Arzt, jede Ärztin, die im Gazastreifen weiterarbeiten kann, hilft ein Kind zu retten. Und auf diese Möglichkeit können wir nicht verzichten.»

«Schweiz sollte Entwicklungshilfe nicht kürzen»

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Mirjana Spoljaric kritisiert in der SRF-Samstagrundschau den Entscheid des Nationalrats, bei der Entwicklungshilfe zu sparen. «Die Schweiz sollte kein Interesse daran haben, ihre aussenpolitischen Einflussmöglichkeiten zu schmälern.» Die Schweiz werde geschätzt für ihre Hilfe. Die Entwicklungshilfe öffne Türen – wirtschaftlich und politisch. «Die Schweiz wird immer darauf angewiesen sein, mit möglichst vielen Ländern gute Beziehungen zu haben.»

Der Nationalrat hatte diese Woche entschieden, die Schweizer Auslandshilfe nächstes Jahr um fast zehn Prozent zu kürzen. Mit dem Sparbetrag würde eine raschere Aufrüstung der Armee finanziert. Nicht antasten will der Nationalrat die humanitäre Hilfe und damit der Schweizer Beitrag ans IKRK.

Nächste Woche entscheidet der Ständerat.

Kampagnen gegen IKRK gefährden Personal und Präsidentin

Stimmen aus Israel, aber auch aus der Ukraine und Russland, greifen das IKRK regelmässig an wegen angeblicher Parteilichkeit. Die Israel-nahe Organisation «UN Watch» etwa kam nach einer Auswertung von Posts in den sozialen Medien zum Schluss: Das IKRK kritisiere Israel häufiger und heftiger als die Hamas. Mirjana Spoljaric weist die Vorwürfe zurück. Das IKRK habe Kriterien für seine öffentlichen Äusserungen und lege diese gegenüber Israel auch offen. Wegen der Diskussionen über Posts habe sie aber ihren Account auf der Plattform X stillgelegt.

Das IKRK werde für politische und militärische Ziele instrumentalisiert. Die Kampagnen gegen das IKRK hätten ein Ausmass angenommen, das die Mitarbeitenden und sie selbst gefährde: «Wenn ich Personenschutz brauche, wenn ich in mich zur Sicherheit in einem abgeschirmten Flügel eines Hotels aufhalten muss, dann ist für mich eine Grenze erreicht.»

«Konflikte können in jede Hauptstadt dieser Welt kommen»

Die Zukunft sieht Spoljaric düster: Kriegsparteien würden den Sieg um jeden Preis anstreben. Gegner würden entmenschlicht. Den Staaten fehle der politische Wille für Friedenslösungen. Das habe auch damit zu tun, dass in den USA, Deutschland und Frankreich Regierungswechsel im Gang seien.

Der Schutz der Zivilbevölkerung muss zur politischen Priorität erklärt werden.

Wenn sich nichts ändere, dann begehe die Welt diejenigen Fehler, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg nie mehr habe wiederholen wollen. Traumata und Radikalisierungen seien die Folge. «Und diese Konflikte können sich sehr schnell in jede Hauptstadt auf dieser Welt ausbreiten.»

Spoljaric setzt auf China, Brasilien und Kasachstan

Das IKRK schmiedet mit China, Brasilien, Südafrika, Kasachstan und Frankreich zurzeit eine Koalition von Staaten, die sich für das humanitäre Völkerrecht einsetzen wollen. «Der Schutz der Zivilbevölkerung muss zur politischen Priorität erklärt werden. Deswegen haben wir Länder ausgesucht, die global und regional Einfluss haben.»

Es gehe darum, dass Staaten ihre militärische Doktrin anpassen und die Streitkräfte entsprechend ausbildeten. 

Samstagsrundschau, 7.12.2024, 11.30 Uhr

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