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Sterilisation von urteilsunfähigen Personen in der Schweiz
Aus 10 vor 10 vom 28.04.2023.
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Illegale Zwangsmassnahmen Urteilsunfähige werden ohne Zustimmung sterilisiert

Organisationen und Behörden vermuten eine Dunkelziffer von illegal durchgeführten Sterilisationen bei Urteilsunfähigen.

Urteilsunfähige werden in der Schweiz sterilisiert – ihre Zustimmung braucht es dafür nicht. Die Sterilisation ist ab 16 Jahren legal. Betroffen sind oft Menschen mit einer schweren Beeinträchtigung.

Laut der UNO verstösst das Gesetz gegen die Behindertenrechtskonvention. Aber eine Sterilisation sei die allerletzte Option, sagt Dominic Frei, Präsident des Schweizerischen Verbands der Berufsbeistandspersonen. «Das Gesetz sieht vor, gut zu prüfen, ob es keine anderen Lösungen gibt.»

Zwangssterilisationen in der Schweiz – ein dunkles Kapitel

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Eine der ersten eugenisch begründeten Zwangssterilisationen wurde Ende 1800 in der zürcherischen Anstalt Burghölzli durchgeführt – unter der Leitung des Zürcher Psychiaters Auguste Forel, der selbst zum Messer griff.

Das erste Zwangssterilisations-Gesetz in Europa kommt aus dem Kanton Waadt und galt von 1928 bis 1985. Andere Kantone hatten kein Gesetz, aber Richtlinien und Absprachen zwischen Behörden und ärztlichen Vertreterinnen und Vertretern. Laut Expertinnen und Experten hat das Gesetz in der Waadt gezeigt, dass die Kantone ohne freier sind. Kurz vor 2000 wollte SP-Nationalrätin Margrith von Felten eine Entschädigung für die Opfer von Zwangssterilisationen. Doch das Anliegen scheiterte – Parlament und Bundesrat waren dagegen. Daraus entstand 2004 ein nationales Sterilisationsgesetz, das heute noch gilt.

Die Sterilisation einer urteilsunfähigen Person ist zulässig, wenn sie unter anderem «im Interesse der betroffenen Person vorgenommen wird», «wenn mit der Zeugung und Geburt eines Kindes zu rechnen ist» oder «wenn nach der Geburt die Trennung vom Kind unvermeidlich wäre, weil die Elternverantwortung nicht wahrgenommen werden kann». Ausserdem muss die kantonale Erwachsenenschutzbehörde Kesb der Sterilisation zustimmen.

Eine Schere wird von einer Hand in Handschuhen in eine andere gelegt.
Legende: In der Vergangenheit kam es in der Schweiz immer wieder zu Zwangssterilisationen. Auch heute noch gehen die Behörden von einer hohen Dunkelziffer aus. IMAGO / Science Photo Library

«10 vor 10» hat in allen Kantonen nachgefragt, wie viele urteilsunfähige Personen in zehn Jahren sterilisiert worden sind. In Bern, Zürich und St. Gallen waren es je vier Personen. In Luzern zwei Personen, in Basel-Landschaft und Graubünden je eine Person. Insgesamt also 16 Personen. Jedoch haben sich die Kantone Aargau, Tessin und Wallis nicht gemeldet oder konnten keine Zahlen liefern.

Für Jan Habegger sind die 16 in der Schweiz sterilisierten Personen nur die Spitze des Eisbergs. Als stellvertretender Geschäftsführer der Behindertenorganisation Insieme habe er auch von illegalen Sterilisationen erfahren.

Bei einer notwendigen Darmoperation wurde zusätzlich eine Sterilisation durchgeführt.
Autor: Jan Habegger Stellvertretender Geschäftsführer Insieme

Habegger sagt: «Bei einer notwendigen Blinddarmoperation wurde zusätzlich eine Sterilisation durchgeführt. Oder man hat eine Person im Nachhinein darüber informiert, dass sie keine Kinder mehr bekommen kann.» Das seien zwar nicht unbedingt Fälle der letzten Jahre, sondern von vor 30 bis 50 Jahren. «Aber das kommt heute bestimmt noch vor.»

Eine Dunkelziffer wegen illegal durchgeführter Sterilisationen ist auch für Suna Kircali plausibel. Sie setzt sich als Co-Geschäftsleiterin bei Avanti Donne für Frauen und Mädchen mit Behinderung ein.

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Suna Kircali: «Wir müssen davon ausgehen, dass die Kesb nicht alles mitbekommt»
Aus News-Clip vom 28.04.2023.
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Kircali erhält immer wieder Anfragen, die etwa lauten: «Wir haben eine junge Frau mit kognitiver Beeinträchtigung in der Familie. Sie hat einen Partner und sie sind sexuell aktiv. Wir wollen aber nicht, dass sie ein Kind bekommt, weil wir überfordert sind.»

Behörden bestätigen illegale Sterilisationen

Mehrere Präsidentinnen und Präsidenten der kantonalen Erwachsenenschutzbehörden bestätigen die Vermutung von illegal durchgeführten Sterilisationen. Andreas Hildebrand, Präsident der Kesb Region Gossau in St. Gallen, sagt, ein Arzt habe sich an die Kesb gewandt, um die Zustimmung für eine Sterilisation zu erhalten. «Wir sollten ihm doch rasch das Formular schicken, damit er die Kreuzchen am richtigen Ort machen könne und die bereits geplante Operation vornehmen kann.»

Vor diesem Hintergrund fragt man sich schon, wie ist es denn weitergangen ist: an der Kesb vorbei – ohne Bewilligung –, irgendwie vielleicht sogar illegal?
Autor: Andreas Hildebrand Präsident Kesb Region Gossau/SG

Daraufhin erklärte Hildebrand dem Arzt, dass das nicht so einfach sei. Es brauche Abklärungen in grösseren Ausmass. «Er war erstaunt darüber und hat nichts mehr von sich hören lassen. Vor diesem Hintergrund fragt man sich schon, wie es weitergegangen ist: an der Kesb vorbei – ohne Bewilligung –, vielleicht sogar illegal?»

Der Druck auf die Politik steigt – nicht nur wegen der ersten Behindertensession. Im Nationalrat ist ein SP-Vorstoss hängig, der fordert, dass eine Sterilisation ohne Zustimmung der Betroffenen generell verboten werden soll.

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Analyse mit Studiogast Markus Schefer, Professor für Staatsrecht
Aus 10 vor 10 vom 28.04.2023.
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10 vor 10, 28.04.2023, 21:50 Uhr

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