Steuervorlagen sind normalerweise nicht die spannendsten und nicht die emotionalsten Geschäfte im Parlament. Bei der Individualbesteuerung ist das anders: Da wird mit bedeutungsschweren Begriffen um sich geworfen («Revolution!», «Ein Frontalangriff auf die Ehe!»), und die Ergebnisse der stundenlangen Debatten sind jedes Mal äusserst knapp. Auch heute in der abschliessenden Diskussion des Ständerats wurde es wieder ganz eng: nur mit 23 zu 21 Stimmen stimmte die kleine Kammer der Vorlage zur Individualbesteuerung zu.
Ein Stück Gleichstellungspolitik
Woher diese Emotionalität? Warum diese Gespaltenheit?
Das liegt daran, dass mit der Individualbesteuerung nicht nur Steuer- und Finanzpolitik, sondern auch Gesellschafts- und Gleichstellungspolitik gemacht wird. Das herkömmliche System der Paar-Besteuerung (Ehepaare werden gemeinsam besteuert, Konkubinatspaare einzeln) atmet noch den Geist der traditionellen Familienverhältnisse, wo der Mann das Geld verdient und die Frau den Haushalt führt. Es wirkt sich vor allem für Doppelverdiener-Ehepaare negativ aus: Weil sie mit dem zusammengezählten Einkommen in die Progression fallen, gibt es eine gesalzene Steuerrechnung und hält viele Frauen davon ab, in grossen Pensen zu arbeiten.
Schon 1984 urteilte das Bundesgericht, dass diese sogenannte Heiratsstrafe nicht verfassungsgemäss sei, weil Paare nicht höher besteuert werden dürfen, nur weil sie verheiratet sind. Seither haben die Kantone ihre Steuersysteme so geändert, dass Ehepaare nicht mehr benachteiligt werden, egal wie viel sie arbeiten.
Konservative gegen Progressive
Anders auf Ebene der Bundessteuern. Hier wird seit Jahrzehnten um eine Lösung gestritten. Die aktuelle Vorlage sieht vor, dass jede Person individuell und unabhängig vom Zivilstand besteuert wird. Damit soll auch Gleichstellungspolitik betrieben werden, indem Frauen animiert werden, ihre Berufskarriere voranzutreiben und ihre Rentensituation zu verbessern.
Gleichzeitig werden mit der Vorlage des Bundesrats Ehepaare in traditioneller Rollenverteilung kaum entlastet, zum Teil sogar stärker belastet als vorher. Deshalb verläuft die Spaltung des Parlamentes auch nicht im üblichen links-rechts-Schema, sondern zwischen konservativ und progressiv. SVP und die Mitte sehen die traditionelle Ehe in Gefahr, FDP, GLP und die linken Parteien wollen mehr Frauen ins Berufsleben bringen.
SP lenkt ein
Letzte Woche bei der Eintretensdebatte hatte die progressive Allianz im Ständerat nur knapp die Überhand. Für diese Woche haben einzelne SP-Ständerätinnen und -Ständeräte gedroht, ins Nein-Lager zu wechseln; zu gross seien die Steuererleichterungen für reiche Menschen durch die geplante Individualbesteuerung, zu gross sei der Steuerausfall, wo doch das Geld für soziale Projekte dringend benötigt würde.
Nun hat die SP eingelenkt, weil ihr der Rat bei der Berechnung der Steuersätze entgegengekommen ist. Die Steuerausfälle sollten entsprechend kleiner werden.
Das Geschäft geht jetzt wieder in den Nationalrat. Auch dort dürfte es wieder knapp werden.