Die Heiratsstrafe abschaffen: Dieses Anliegen haben sich mehrere Parteien auf die Fahnen geschrieben. Die Lösung dafür sehen die FDP-Frauen in der Einführung der Individualbesteuerung – also darin, dass Ehepaare künftig nicht mehr gemeinsam, sondern einzeln besteuert werden sollen.
Die Diskussion um die Initiative der FDP geht in der Frühjahrssession in die nächste Runde. Unterstützung erhält die FDP von der Ratslinken, die ebenfalls klar hinter der Individualbesteuerung steht. Allerdings steht sie vor einem Interessenskonflikt.
Es ist eine klare Sache: Wir müssen die Heiratsstrafe abschaffen.
Die Individualbesteuerung sei ein fundamentales gleichstellungspolitisches Anliegen, betont SP-Nationalrätin Céline Widmer: «Es ist schlicht nicht mehr zeitgemäss, dass die Geschlechter hier nicht gleich behandelt werden und das jetzige System setzt auch falsche Anreize.» Es sei eine klare Sache, folgert Widmer: «Wir müssen die Heiratsstrafe abschaffen.»
Eine bittere Pille für die SP
Doch jährliche Steuerausfälle in der Höhe von einer Milliarde Franken: Für die Sozialdemokraten ist dieser Nebeneffekt eine bittere Pille. In der Debatte im Nationalrat hat Rot-Grün versucht, die Vorlage in eine sozialverträglichere Richtung zu lenken und zusätzliche Bestimmungen verlangt, damit es zu weniger hohen Steuerausfällen kommt. Die Anträge wurden aber abgelehnt.
Widmer hofft nun, dass ihre Forderungen im Ständerat auf offenere Ohren stossen: «Wir erwarten Schritte vom Ständerat – insbesondere von der FDP – damit wir eine mehrheitsfähige Vorlage verabschieden können.» Die Zustimmung der SP zur Individualbesteuerung sei aber nicht an Bedingungen geknüpft. Die Partei stehe voll und ganz hinter der Forderung. Im Nationalrat war die Zustimmung denn auch einstimmig.
Die geschlossene Haltung der Partei erstaunt Politologin Sarah Bütikofer nicht: «Aus der Perspektive der Gleichstellungspolitik gibt es keine andere Möglichkeit, als sich für die Individualbesteuerung auszusprechen.»
Auch die soziale Frage stellt sich
Die Haltung der SP zur Individualbesteuerung mag aus gleichstellungspolitischer Sicht klar sein. Erstaunlich ist aber, wie sehr sozialpolitische Argumente in den Hintergrund rücken: So wird in der politischen Debatte kaum thematisiert, dass von der Individualbesteuerung vor allem Paare profitieren würden, bei denen beide Partner gut verdienen.
Dass das kaum Thema ist, erstaunt auch Beat Hintermann, Professor für Öffentliche Finanzen an der Universität Basel. Es gäbe bei einem solchen Systemwechsel immer Gewinner und Verlierer: «Von der Systemänderung würden vor allem Haushalte mit höheren Einkommen profitieren. Dagegen würden Haushalte mit tieferen Einkommen tendenziell verlieren.»
Ein Systemwechsel hin zur reinen Individualbesteuerung wäre im Allgemeinen eine Umverteilung von ärmeren zu reicheren Haushalten.
Über diese Verliererinnen und Verlierer werde wenig gesprochen, findet Hintermann. Dabei seien es oft ärmere Haushalte, die das Einverdienermodell leben und damit mit dem Systemwechsel schlechter gestellt würden. «Ein Systemwechsel hin zur reinen Individualbesteuerung wäre im Allgemeinen eine Umverteilung von ärmeren zu reicheren Haushalten.»
Die Gleichstellung kommt bei der Individualbesteuerung also mit einem Preisschild. Noch vermag dieser Umstand an der linken Zustimmung nicht zu rütteln. Sollte es zu einer Volksabstimmung über die Individualbesteuerung kommen, könnte dieses sozialpolitische Argument jedoch noch für Diskussionen sorgen.