Der Ausblick ist atemberaubend. Der Urnersee türkis wie das Meer in einem Ferienkatalog, die Felswand am Ufer gegenüber steil und schroff, der Himmel stahlblau.
Draussen schiessen Windsurfer über die Wellen, an Föhntagen kommen sie aus der ganzen Schweiz hierher. «Ein Traum bei diesen Windverhältnissen», sagt einer, der soeben dem Wasser entsteigt.
Die Isleten: Eine abgeschiedene Halbinsel im Urnersee. Ein Kiesstrand, eine Wiese, ein Restaurant, eine Schiffstation. Doch das ist nur eine Seite der Halbinsel. Die andere liegt etwas weiter hinten, an der Strasse nach Bauen.
Zuerst eine alte Villa mitten auf einer Wiese. Dahinter so etwas wie ein Geisterdorf.
Hier begann die Industrialisierung Uris
Mehrere kleinere Häuser, ein altes Fabrikgebäude, ein Industriekamin, alles ziemlich verwittert.
Ein Ort auch, der seit einem Jahr für Schlagzeilen sorgt. Der ägyptische Investor Samih Sawiris, der bereits im Urner Bergdorf Andermatt ein Ferienresort erbaut hat, will ihn zum Erblühen bringen, indem er hier einen Yachthafen mit Hotel und Ferienwohnungen errichtet - was für Widerstand in Umweltschutzkreisen sorgt.
Weniger bekannt ist, dass dieser Ort Industriegeschichte geschrieben hat. Und zwar ziemlich explosive: Denn ab 1873 liess Alfred Nobel, der spätere Stifter der Nobelpreise, auf der Isleten Sprengstoff im grossen Stil herstellen.
Nobel brauchte gute Werbung für sein Dynamit
Der schwedische Chemiker und Industrielle hatte da gerade das Dynamit erfunden. Ein Sprengstoff, der deutlich stärker war als das damals gebräuchliche Schwarzpulver, und gleichzeitig sicherer in der Handhabung. Was Nobel noch fehlte, war so etwas wie ein guter Werbespot für sein Produkt. Und da begannen die Arbeiten am Gotthard-Eisenbahntunnel.
«Hier konnte Nobel beweisen, dass sich sein Dynamit für den Tunnelbau in hartem Gestein eignete», sagt Hansjakob Burkardt, ehemaliger Bauingenieur. Der 86-Jährige ist als Sohn eines Fabrikdirektors auf der Isleten aufgewachsen und hat die Geschichte der Halbinsel in einem Buch aufgearbeitet.
Am Gotthard konnte Nobel beweisen, dass sich sein Dynamit für den Tunnelbau eignete.
«Er suchte einen Ort in der Nähe der Baustelle, etwas abseits gelegen, wo sich ungestört Dynamit produzieren liess.» Und Nobel würde fündig: auf der Isleten, die nur per Schiff erreichbar war.
Nobel übernahm das Gebäude einer etwas früher erbauten Papierfabrik, baute den Betrieb aus. Lieferte dann Dynamit per Schiff nach Flüelen, von wo es zur Tunnelbaustelle nach Göschenen transportiert wurde.
«Ob Nobel selber auf der Isleten war, lässt sich nicht nachweisen», sagt Burkhardt. «Aber die Fabrik hier war ein Aushängeschild in seinem Industrieimperium.»
Die Schweiz lechzte nach Isleten-Sprengstoff
Anfangs des 20. Jahrhunderts verkaufte Nobel die Fabrik an den französischen Cheddite-Konzern. Bis zu 100 Beschäftigte arbeiteten in den besten Zeiten auf der Isleten, viele wohnten dort. Die Geschäfte liefen gut, die Schweiz brauchte Sprengstoff für Kraftwerkbauten, für Tunnels, für Festungen im Alpenmassiv.
Doch die Fabrik verpasste irgendwann den Anschluss, sagt Hansjakob Burkhardt: «Die Entwicklung bei den Sprengstoffen ging weiter, doch man hielt zu lange am Alten fest.» Die Nachfrage nach Sprengstoff nahm ab den 1990er-Jahren stetig ab, vor wenigen Jahren schloss Cheddite die Fabrik ganz.
Seither dämmert das Gelände vor sich hin – als verwitterter Zeuge der Urner Industrialisierung mit ungewisser Zukunft.