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Von der blühenden Fabrik blieb ein Geisterdorf: Die Isleten heute
Aus Regionaljournal Zentralschweiz vom 21.06.2023. Bild: Keystone/Urs Flüeler
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Industriepionier am Urnersee Warum Dynamit-Erfinder Alfred Nobel seine Fabrik in Uri baute

Vor 150 Jahren war die Isleten am Urnersee explosives Fabrikgelände. Jetzt gibt es dort Pläne für einen Luxus-Yachthafen.

Der Ausblick ist atemberaubend. Der Urnersee türkis wie das Meer in einem Ferienkatalog, die Felswand am Ufer gegenüber steil und schroff, der Himmel stahlblau.

Draussen schiessen Windsurfer über die Wellen, an Föhntagen kommen sie aus der ganzen Schweiz hierher. «Ein Traum bei diesen Windverhältnissen», sagt einer, der soeben dem Wasser entsteigt.

Surfer auf der Isleten
Legende: Bläst der Föhn, kommen die Surfer in Scharen: Die Landzunge der Isleten ist ein idealer Einstieg in den Urnersee. Keystone/Alexadra Wey

Die Isleten: Eine abgeschiedene Halbinsel im Urnersee. Ein Kiesstrand, eine Wiese, ein Restaurant, eine Schiffstation. Doch das ist nur eine Seite der Halbinsel. Die andere liegt etwas weiter hinten, an der Strasse nach Bauen.

Zuerst eine alte Villa mitten auf einer Wiese. Dahinter so etwas wie ein Geisterdorf.

Hier begann die Industrialisierung Uris

Mehrere kleinere Häuser, ein altes Fabrikgebäude, ein Industriekamin, alles ziemlich verwittert.

Ein Ort auch, der seit einem Jahr für Schlagzeilen sorgt. Der ägyptische Investor Samih Sawiris, der bereits im Urner Bergdorf Andermatt ein Ferienresort erbaut hat, will ihn zum Erblühen bringen, indem er hier einen Yachthafen mit Hotel und Ferienwohnungen errichtet - was für Widerstand in Umweltschutzkreisen sorgt.

Die umstrittenen Marina-Pläne von Samih Sawiris

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Legende: Konkrete Pläne für das Marina-Projekt sind nicht bekannt – mit dieser Visualisierung stellte Samih Sawiris 2022 aber seine Idee vor. Isen AG

Ein Drei- oder Viersternehotel mit 50 Zimmern, 100 Ferienwohnungen, ein Yachthafen mit 50 Anlegeplätzen: Diese Pläne für die Isleten präsentierte Investor Samih Sawiris im Frühling 2022 der Öffentlichkeit, nachdem er das Gelände der ehemaligen Sprengstofffabrik gekauft hatte. Das Gebiet solle für alle zugänglich sein, versicherte er, zum Baden, Grillieren oder Spazieren.

Kritik von Umweltschützern

Das Projekt stiess nicht nur auf Begeisterung: Bei Umweltschutzorganisationen läuteten die Alarmglocken – denn die Isleten gehört zum Bundesinventar der Landschaften von nationaler Bedeutung. Sawiris kündigte danach an, sein Projekt zu redimensionieren. Konkrete Pläne liegen aber noch keine vor. Bis heute gibt es bloss Visualisierungen, die Sawiris als «Skizzen» bezeichnet und Kritiker als «Disneyland» verwerfen.

Volksinitiative will Isleten an die Urne bringen

Mittlerweile wächst auch der Widerstand auf politischer Ebene: Diese Woche wurde im Kanton Uri eine Volksinitiative eingereicht, die unter anderem Hotelbauten und Bootshäfen verbietet und fordert, dass die Isleten zu einem «öffentlichen und naturnahen Naherholungsraum» wird. Die Urner Kantonsregierung wird nun die Gültigkeit der Initiative prüfen.

Weniger bekannt ist, dass dieser Ort Industriegeschichte geschrieben hat. Und zwar ziemlich explosive: Denn ab 1873 liess Alfred Nobel, der spätere Stifter der Nobelpreise, auf der Isleten Sprengstoff im grossen Stil herstellen.

Nobel brauchte gute Werbung für sein Dynamit

Der schwedische Chemiker und Industrielle hatte da gerade das Dynamit erfunden. Ein Sprengstoff, der deutlich stärker war als das damals gebräuchliche Schwarzpulver, und gleichzeitig sicherer in der Handhabung. Was Nobel noch fehlte, war so etwas wie ein guter Werbespot für sein Produkt. Und da begannen die Arbeiten am Gotthard-Eisenbahntunnel.

Undatierte Aufnahme von Alfred Nobel
Legende: Zuerst wurde er reich mit Dynamit, dann stiftete er mit seinem Vermögen die Nobelpreise: Der schwedische Chemiker und Erfinder Alfred Nobel (1833 bis 1896) war auf der Isleten aktiv. Keystone

«Hier konnte Nobel beweisen, dass sich sein Dynamit für den Tunnelbau in hartem Gestein eignete», sagt Hansjakob Burkardt, ehemaliger Bauingenieur. Der 86-Jährige ist als Sohn eines Fabrikdirektors auf der Isleten aufgewachsen und hat die Geschichte der Halbinsel in einem Buch aufgearbeitet.

Am Gotthard konnte Nobel beweisen, dass sich sein Dynamit für den Tunnelbau eignete.
Autor: Hansjakob Burkardt Kenner der Geschichte der Isleten

«Er suchte einen Ort in der Nähe der Baustelle, etwas abseits gelegen, wo sich ungestört Dynamit produzieren liess.» Und Nobel würde fündig: auf der Isleten, die nur per Schiff erreichbar war.

Aufnahme der Isleten von 1922.
Legende: Eine Strasse gabs erst 1951, zuvor war die Isleten – hier auf einer Luftaufnahme von 1922 – nur per Schiff erreichbar. Rechts unten das Fabrikgelände mit Schiffsstation. ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

Nobel übernahm das Gebäude einer etwas früher erbauten Papierfabrik, baute den Betrieb aus. Lieferte dann Dynamit per Schiff nach Flüelen, von wo es zur Tunnelbaustelle nach Göschenen transportiert wurde.

Das Gotthardportal in Göschenen um 1885.
Legende: Das Gotthardportal in Göschenen um 1885, drei Jahre nach Eröffnung des Tunnels: Nobels Dynamit von der Isleten hatte wesentlichen Anteil beim Bau der Nord-Süd-Verbindung. ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

«Ob Nobel selber auf der Isleten war, lässt sich nicht nachweisen», sagt Burkhardt. «Aber die Fabrik hier war ein Aushängeschild in seinem Industrieimperium.»

Die Schweiz lechzte nach Isleten-Sprengstoff

Anfangs des 20. Jahrhunderts verkaufte Nobel die Fabrik an den französischen Cheddite-Konzern. Bis zu 100 Beschäftigte arbeiteten in den besten Zeiten auf der Isleten, viele wohnten dort. Die Geschäfte liefen gut, die Schweiz brauchte Sprengstoff für Kraftwerkbauten, für Tunnels, für Festungen im Alpenmassiv.

Arbeiter in der Sprengstofffabrik um 1980.
Legende: Da herrschte noch Hochbetrieb auf der Isleten: Arbeiter in der Sprengstofffabrik um 1980. Keystone

Doch die Fabrik verpasste irgendwann den Anschluss, sagt Hansjakob Burkhardt: «Die Entwicklung bei den Sprengstoffen ging weiter, doch man hielt zu lange am Alten fest.» Die Nachfrage nach Sprengstoff nahm ab den 1990er-Jahren stetig ab, vor wenigen Jahren schloss Cheddite die Fabrik ganz.

Seither dämmert das Gelände vor sich hin – als verwitterter Zeuge der Urner Industrialisierung mit ungewisser Zukunft.

Regionaljournal Zentralchweiz, 21.06.2023, 17:30 Uhr

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