Nur mit den Händen hält sich Martina Mollet an der Kletterwand fest. Die Zürcherin ist aufgrund einer Krankheit vom Bauchnabel abwärts gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Dass sie in der Kletterhalle in Root dennoch klettern kann, ist für sie ein Glücksfall: «Klettern braucht Kraft, Koordination und Mut. Das ist für mich wie eine Therapie. Ich muss mich in der Kletterwand voll konzentrieren und vergesse für einen Moment den Alltag.»
Mollet fährt mit dem Rollstuhl bis vor die Wand. Unterstützt von Kolleginnen, zieht sich hoch und erreicht die Klettergriffe. Gesichert ist Mollet durch ein Seil. «Ich klettere alleine mit der Kraft der Arme. Wenn ich die Knie durchstrecke, kann ich zwar etwas Gewicht auf die Beine abgeben, doch die Wand komme ich nur dank des Oberkörpers hoch.»
Bis zu 45 Leute mit unterschiedlichen Behinderungen klettern regelmässig in Root. Ins Leben gerufen hat dieses Projekt Caro Käser. Die engagierte Kletterinstruktorin will das Klettern allen Menschen ermöglichen: «Ich will zeigen, dass vieles möglich ist. Geht nicht, gibt es bei mir nicht.»
Die grösste Herausforderung sei nicht das Klettern selbst. «Der Zugang zur Kletterhalle ist an vielen Orten nicht barrierefrei.» So sei Root derzeit die einzige Kletterhalle der Schweiz, die das Klettern für Menschen mit einer Behinderung anbiete. In Root führt ein Lift in die Halle. Und so hat es baulich gar nicht viel gebraucht: «Wir haben ein paar zusätzliche Griffe montiert und neue Leute zu Kletterhelfern ausgebildet, sodass sie unterstützen können.»
Entscheidend sind Personal und Geld
Genügend Personal und Geld gehöre denn auch zum Wichtigsten, um so ein Projekt zu ermöglichen. «Die Menschen mit einer Behinderung leben meistens von der IV und können oft die regulären Kurskosten nicht selbst tragen.» Die Sicherungshelferinnen und -helfer arbeiten freiwillig und auch die Rooter Kletterhalle unterstützt das Projekt.
Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gibt es viel. Heute an der Kletterwand ist beispielsweise Fabio Gremaud aus Küssnacht am Rigi. Nach einer Hirnverletzung ist er in der Beweglichkeit eingeschränkt. «Ich habe Spastiken wegen einer Hirnblutung. Und es hilft: Die Spastiken gehen beim Klettern zurück.»
Oft, wenn ich im Alltag auf schwierige Hindernisse stosse, denke ich ans Klettern. Ich denke daran, dass ich an dieser Wand zuoberst war. Dann geht alles.
Auch mental helfe das Klettern, sagt Andrea Steinmann aus Horw, die wegen einer neurodegenerativen Krankheit auf den Rollstuhl angewiesen ist. «Ohne dieses Projekt würde ich nicht klettern. Oft, wenn ich im Alltag auf schwierige Hindernisse stosse, denke ich ans Klettern. Ich denke daran, dass ich an dieser Wand zuoberst war. Dann geht alles.»
Man spürt: Das sind Menschen, die es gut haben untereinander. Käser ist immer wieder stolz zu sehen, was ihre Schülerinnen und Schüler können. «Die Fortschritte zu sehen, ist für mich sehr emotional. Eine grosse Bereicherung.»
Ein Projekt, das in Zukunft ausgeweitet werden soll. Die Schweiz ist bei der Inklusion im Sport eher im Hintertreffen. Zu diesem Schluss kam im letzten Jahr eine Studie des Schweizerischen Nationalfonds. 1.7 Millionen Menschen mit einer Behinderung leben in der Schweiz – viele fühlen sich von sportlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten ausgeschlossen. Für Caro Käser ein Ansporn: «Mein Ziel ist es, dass in fünf Jahren mindestens die fünf grössten Kletterhallen der Schweiz barrierefrei und für alle zugänglich sind.» So soll für Menschen, die sonst schon viele Hürden im Alltag haben, diese Hürde überwunden werden.