Tahir Anil hat es geschafft. Innert weniger Monate ist aus dem türkischen Flüchtling eine IT-Fachkraft geworden. Der Weg dahin war schwierig. «Die erste Zeit in der Schweiz sass ich zu Hause fest. Mein Selbstvertrauen war im Keller. Nun habe ich es wieder zurückbekommen», sagt er.
Seine Selbstsicherheit wiedererlangen konnte Tahir Anil dank Powercoders, einem Berner Verein, der Geflüchtete zu Programmierern ausbildet. Seit sechs Jahren gibt es das Programm.
600 Bewerbungen
250 Menschen haben bisher daran teilgenommen und wurden in Sachen Software und IT-Anwendungen geschult. «Rund 60 Prozent haben nach dem Ausbildungsprogramm eine Festanstellung oder Lehrstellenvertrag erhalten», so Christina Gräni von Powercoders.
In einer Branche mit einem ausgeprägten Fachkräftemangel erstaune diese hohe Quote nicht, sagt Peter Neuenschwander. Er ist Professor für Soziale Arbeit an der Berner Fachhochschule und forscht zum Thema berufliche und soziale Integration. «Die Quote zeigt, Powercoders ist mit seinem Angebot auf dem richtigen Weg.»
Die IT-Branche hat hohe Anforderungen an Einsteiger.
Auch Christina Gräni ist sich des Fachkräftemangels in der IT bewusst. Trotzdem sei der Einstieg in die Branche oft schwierig. «Die Anforderungen sind hoch.»
Das Auswahlverfahren für den Kurs ist dementsprechend streng. «Wir testen logisches Denken, die Teamfähigkeit und die Englischkenntnisse.» Drei Eigenschaften, welche für die Arbeit in der IT-Welt unverzichtbar sind.
Englisch: Ja, Deutsch: Nein
Das Interesse am Ausbildungsprogramm seitens Geflüchteten ist gross. Gut 600 Bewerbungen kommen auf die 70 Ausbildungsplätze, die der Verein mittlerweile jährlich anbietet.
«Ich habe mich beworben, weil Englisch-, aber keine Deutschkenntnisse gefordert waren», so Olena Smetiuk. Auch sie hat es in den Kurs geschafft. Die Biomedizinerin flüchtete im April 2022 aus der Ukraine in die Schweiz.
Vor Kurzem hat Olena Smetiuk ihr Praktikum gestartet. «Mein Deutsch wird besser. Aber ich wechsle meist auf Englisch. Ich bin froh, verstehen und sprechen alle im Team auch Englisch.»
Ich sage drei Mal ‹Grüezi›. Dann arbeite ich.
Auch Tahir Anil spricht noch kaum Deutsch. «Wenn ich ins Büro komme, sage ich dreimal ‹Grüezi›, danach arbeite ich am Computer.» Für Tahir Anil ist klar, dass er Deutsch lernen will. «Das hat mit Respekt zu tun.» Aber es sei schwierig, sich auf die Sprache zu konzentrieren, wenn man persönliche Probleme im Zusammenhang mit der Flucht bewältigen müsse.
Integration ohne Deutschkenntnisse?
«Sprachkenntnisse gelten zwar allgemein als Schlüssel für eine erfolgversprechende Integration», so Integrationsexperte Peter Neuenschwander. In der IT-Welt werde aber oft Englisch kommuniziert. Zudem seien Programmiersprachen international.
«Der Vorteil von Powercoders ist, dass das Programm Geflüchtete direkt mit potenziellen Arbeitgebern in Kontakt bringt. Sie bekommen die Möglichkeit, sich als leistungsfähige und motivierte Mitarbeitende unter Beweis zu stellen.»
Der Programmierkurs gibt den Geflüchteten eine Perspektive. Davon ist auch Christina Gräni von Powercoders überzeugt. «Ein Arbeitsplatz ist der erste Schritt zur Integration.» Nur wer ein Einkommen habe, könne aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.
Das bestätigt Tahir Anil. Er hat seine Chance genutzt und mittlerweile eine Festanstellung. «Ich kann wieder selbst für meine Familie sorgen. Das ist fürs Erste das Wichtigste.»