Vor 30 Jahren wurde die Alpeninitiative überraschend angenommen. Diese verlangte, den alpenquerenden Schwerverkehr auf die Bahn zu verlagern. Statt wie vorgesehen 650'000 pro Jahr, donnern aber immer noch deutlich mehr Lastwagen durch die Schweizer Alpen. Django Betschart, Geschäftsleiter der Alpeninitiative, spricht trotzdem von einer Erfolgsgeschichte.
SRF: Sie feiern 30 Jahre Alpeninitiative. Das Verlagerungsziel ist jedoch bei weitem nicht erreicht. Ist es deshalb nicht eher eine Trauer- statt Jubelfeier?
Django Betschart: Es ist so. Das Ziel ist nicht erreicht. Aber: Im Vergleich zu unseren Nachbarländern ist die Schweiz mit ihrer Verkehrsverlagerung eine Erfolgsgeschichte. Wir haben es geschafft, dass bis zu 75 Prozent des alpenquerenden Güterverkehrs auf der Schiene stattfindet und nur 25 Prozent auf der Strasse.
Man konnte die Schweiz wirklich vor einer Verkehrslawine schützen.
Zum Beispiel am Brenner in Österreich ist es umgekehrt. Dort sind 75 Prozent auf der Strasse und 25 Prozent auf der Schiene. Man konnte die Schweiz also wirklich vor einer Verkehrslawine schützen, indem über 30 Jahre lang verschiedenste Massnahme ergriffen worden sind.
Trotz der Neat, einer ausgebauten Bahninfrastruktur, fahren immer noch fast 900'000 Lastwagen durch die Schweizer Alpen. Das Ziel wären eigentlich 650'000 im Jahr. Was läuft schief?
Darüber ärgern wir uns jedes Jahr. Es zeigt, dass die Infrastruktur alleine nicht reicht. Man muss zusätzlich an verschiedenen Schrauben drehen. Eine der wichtigsten davon ist das Geld. Wir fördern verlagerte Lastwagen, indem wir dem Schienenoperateur Geld geben, damit er günstiger anbieten kann. Dafür nimmt die Schweiz viel Geld in die Hand. Anderseits müsste man aber bei den Lastwagenfahrten den Preis einfordern, den sie bei der Gesellschaft verursachen – sprich die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe so hoch ausreizen, wie es nur geht.
Die Menschen, die an den Verkehrsachsen wohnen, haben genug vom Stau. Die zweite Tunnelröhre am Gotthard wird gebaut und es gibt Stimmen im Kanton Uri, die sagen, man solle künftig alle vier Spuren nutzen …
Das wäre eine Abschaffung des Alpenschutzartikels. Wenn man das machen will, braucht es eine Volksabstimmung. Wenn wir am Gotthard die vier Spuren aufmachen, dann gibt es zu gewissen Zeiten weniger Stau, das ist sicher so. Aber es zieht auch mehr Verkehr an. Das heisst: Die ganze Verkehrsachse von Basel bis Chiasso leidet dann unter mehr Verkehr. Das bedeutet mehr Lärm, mehr Luftverschmutzung, mehr Unfälle.
Wir brauchen andere Lösungen: Wir müssen versuchen, Verkehrsspitzen zu brechen. Anstürme an gewissen Tagen auf verschiedene Tage verteilen, indem man Anreize setzt. Im Ausland gibt es solche Systeme bereits. Gleichzeitig muss man dafür sorgen, dass die Blechlawine nicht auf den Kantonsstrassen, sondern auf der Autobahn bleibt.
Ist das Verlagerungsziel am 40. Geburtstag der Alpeninitiative erreicht?
In zehn Jahren haben wir das Verlagerungsziel erreicht, da bin ich zuversichtlich. Wir hatten lange einen Abwärtstrend – in kleinen Schritten. In den letzten zwei, drei Jahren ging es leider wieder nach oben, das besorgt uns. Wir müssen im politischen Prozess Ideen einspeisen, wie man das wieder umdrehen kann.
Das Gespräch führte Mirjam Breu.