Die jüdische Gemeinde in Basel ist speziell, in mehrfacher Hinsicht: Sie ist die älteste jüdische Gemeinde der Schweiz und wurde in den 1970er Jahren auch als erste im Land vom Kanton als öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft anerkannt.
Eine Premiere mehr
Und nun soll diese Gemeinde noch spezieller werden dank einer weiteren Schweizer Premiere: Sie plant einen symbolisch abgegrenzten Stadtbereich auf der linken Rheinseite (Grossbasel), in dem den orthodoxen Juden das Leben am Sabbat erleichtert wird. Denn in diesem «Eruv» genannten Gebiet sind die sonst strengen religiösen Vorschriften ausser Kraft gesetzt.
Der Eruv erleichtert gläubigen Juden den Alltag. Diese dürfen an hohen Feiertagen und am Sabbat, also von Freitag- bis Samstagabend, eigentlich keine Gegenstände ausserhalb ihrer Wohnung bewegen. Also zum Beispiel auch keinen Kuchen zum Besuch vorbeibringen oder Medikamente auf sich tragen. Im Eruv dagegen ist das erlaubt.
Grenzdraht um einen Viertel der Stadt
Kommt er zustande, handelt es sich dabei schweizweit um die erste solche Einrichtung. Für das Auge nicht Eingeweihter ist diese symbolische Grenze meist kaum wahrnehmbar. Denn sie wird mit Drähten und Schnüren gezogen. In Basel soll der Bereich rund einen Viertel des Stadtgebiets ausmachen.
Einen Eruv gibt es im deutschen Sprachraum sonst nur noch in Wien, wo er vor fünf Jahren eingerichtet wurde. 25 Kilometer lang ist seine Grenze. Einbezogen sind dort auch vorhandene Mauern, Zäune, Drähte oder natürliche Grenzen wie die Donau. Sonst kennen etwa noch Antwerpen, London oder New York einen Eruv.
Einmal mehr: Zürich gegen Basel
Treibende Kraft hinter dem Basler Eruv ist Moshe Baumel, seit drei Jahren Rabbiner der jüdischen Gemeinde. Damit würde seine Gemeinde wieder attraktiver und die Abwanderung von Juden zum Beispiel nach Zürich liesse sich stoppen, findet er.
Denn die älteste jüdische Gemeinde der Schweiz mit einer Synagoge, die ein Kulturgut von nationaler Bedeutung ist, hat in 40 Jahren rund die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Auffällig dabei: In den letzten fünf Jahren ist jeder 20. Jude aus Basel nach Zürich abgewandert. Hier nimmt die jüdische Bevölkerung sogar zu.
In Städten mit einem Eruv sei das soziale jüdische Leben aufgeblüht, sagt Baumel. «Und es gab einen Zuzug von Gemeindmitgliedern.» Ein Eruv ermögliche es besonders Familien und Frauen, am Sabbat teilzunehmen. Das sei ja schliesslich der Tag, an dem die meisten Leute zusammenkämen. Statt zu Hause bleiben zu müssen, könnten sich Familien dann frei bewegen.
Geld noch nicht beisammen
Der Rabbiner hat viele Ideen, um seine Gemeinde mit ihrer grossen Vergangenheit wieder zum Blühen zubringen und wachsen zu lassen. Auch ein jüdisches Gymnasium gehört dazu. Doch dafür braucht es deutlich mehr Kapital als für einen Eruv:
Rund 100'000 Franken soll dieser kosten. Das ist noch immer viel Geld für die Gemeinde, die unter hohen Sicherheitskosten für die Bewachung ihrer Synagoge leidet. Die Finanzierung ist daher auch noch nicht gesichert.
Zudem müssen Baubewilligungen eingeholt werden, um die Markierungen in der Stadt anbringen zu dürfen. Immerhin senden die kantonalen Behörden positive Signale aus. Unterstützung kommt etwa vom Basler Stadtentwickler Lukas Ott. Es sei wichtig, dass der Staat solche Anliegen konstruktiv aufnehme. Der Kanton wolle damit der historischen Bedeutung der jüdischen Gemeinde in Basel gerecht werden.
Kritik von jüdischer Seite
Kritische Stimmen kommen ausgerechnet von Juden selbst. So findet Yves Kugelmann, Chefredaktor der jüdischen Wochenzeitung «Tachles», das Projekt sei zwar «nice to have». «Aber niemand braucht das wirklich in einer Einheitsgemeinde wie der israelitischen Gemeinde Basel. Vor allem dann nicht, wen es um Zuwanderung geht».
Denn bloss eine Minderheit würde von einem Eruv profitieren. Potentiellen Zuzügern seien andere Dinge wichtig. Kugelmann – als liberaler Vertreter seiner Religion – würde andere Prioritäten setzen: «Die jüdischen Gemeinden sollten sich zum Beispiel Gedanken machen über den Umgang mit gemischt-religiösen Beziehungen.»
Das interessiere die Leute. Aber viele würden eben nicht Mitglied der Gemeinde, weil sie dazu keine Antworten fänden. Gemischt-religiöse Grabfelder anzubieten, bringe einer Gemeinde wohl mehr als ein Eruv, ist Kugelmann überzeugt. Oder auch günstige jüdische Schulen.
Rabbiner Moshe Baumel kennt diese Bedenken. Er glaubt trotzdem, dass Basel mit einem Eruv für orthodoxe Juden einen Standortvorteil hätte. Denn sein Ziel ist klar: Basel soll für Juden künftig gleich attraktiv sein wie Zürich.