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Kalter Krieg Hier hätte der Bundesrat bei einem Atomkrieg Zuflucht gefunden

Ein grosses Anwesen im Südwesten Irlands stand im Kalten Krieg bereit, Reisepläne waren ausgearbeitet, falls die Sowjetunion Westeuropa erobert oder mit Atombomben angegriffen hätte: Der Bundesrat wäre ins Exil gegangen.

Mit einem sanften Ruck setzen sich die beiden Torflügel in Bewegung und geben den Blick frei auf eine schmale Strasse, die hinter hohen Rhododendronbüschen verschwindet. Dahinter schlängelt sich die Strasse den bewaldeten Hügel hinauf. Dann und wann geben die Büsche am Strassenrand kurz den Blick frei auf eine sanft geschwungene, mit Hecken durchzogene Landschaft: grüne, saftige Weiden im County Cork im Südwesten Irlands.

Die Strasse weitet sich – und ein Schild weist den Weg zum Empfang von «Liss Ard Estate». Hinter den Bäumen erscheint ein weissgetünchtes, dreigeschossiges Gutshaus aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, überschattet von einer grossen Libanon-Zeder.

Das wäre er also gewesen – der sichere Zufluchtsort für die Schweizer Landesregierung, im Kalten Krieg. «Liss Ard Estate» war als Ersatz-Bundeshaus vorgesehen, bei einer drohenden Invasion Westeuropas durch die Sowjetunion oder bei einem drohenden sowjetischen Angriff mit Atombomben. Von hier aus hätte der Bundesrat seine Amtsgeschäfte aus dem Exil weitergeführt.

Schweizer Armeegeheimdienst plant für den Ernstfall

Aus der Tür des Gutshauses tritt ein sportlich angezogener Mittvierziger. Er eilt schnellen Schrittes über den gekiesten Vorplatz. «Willkommen in Liss Ard House», sagt Alexi Argyris. Er ist seit knapp einem Jahr Direktor des 26-Zimmer-Hotels. Und er ist fasziniert von der bewegten Geschichte seines Hotels, die er in kurzer Zeit detailliert kennengelernt hat.

«Diese Räume im Erdgeschoss wären zu Empfangs- und Sitzungsräumen umgerüstet worden», sagt der Hoteldirektor auf einem Rundgang durch die hellen, hohen Räume, die vor knapp zwei Jahren erneuert worden sind. «Im oberen Stockwerk gab es Gästezimmer.» Argyris weist zum Treppenhaus und geht voran ins Untergeschoss: «In den Kellerräumen war die ganze Technik untergebracht – für die Funkverbindungen in die Schweiz.»

Vorangetrieben werden die Irland-Exilpläne für die Landesregierung Mitte der 1970er-Jahre vom Armeegeheimdienst. Geleitet wird der sogenannte Spezialdienst von Albert Bachmann, Oberst im Generalstab.

Wer war Albert Bachmann?

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Albert Bachmann wird 1929 im Zürcher Stadtteil Abisrieden geboren. Er macht eine Lehre als Typograph und sympathisiert in seiner Jugend mit dem Kommunismus. In den 1950er-Jahren wird Bachmann zum Antikommunisten, macht in der Schweizer Armee Karriere, steigt bis zum Oberst im Generalstab auf. Er sieht die Schweiz durch die Sowjetunion bedroht. Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn 1956 verfasst Bachmann das «Soldatenbuch» mit, um den Schweizer Abwehrwillen zu stärken. In den 1960er-Jahren schreibt er das «Zivilverteidigungsbuch», das in sämtliche Schweizer Haushalte verteilt wird – mit dem Ziel, den Widerstandswillen der Schweizer Bevölkerung anzufachen.

1976 wird Bachmann Chef des Spezialdienstes innerhalb der Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr (UNA) des Eidgenössischen Militärdepartements (EMD). Zu seinen Aufgaben gehört auch, die Widerstandsvorbereitungen für den Fall einer Besetzung der Schweiz voranzutreiben.

«Albert Bachmann war charismatisch. Er konnte die Leute für seine Ideen begeistern», sagt Historiker Titus Meier, der die Widerstandsvorbereitungen der Schweiz im Kalten Krieg erforscht hat – und damit auch die Rolle, die Albert Bachmann dabei spielte. Meier: «Bachmann agierte oft ohne Rücksprache mit seinen Vorgesetzten. Er war schwer zu führen und konnte sich aus brenzligen Situationen herausreden.»

1979 reicht es seinen Vorgesetzten. Sie entziehen Bachmann die Aufgabe, den Widerstand in der Schweiz vorzubereiten. Nach dem Auffliegen einer Spionageaktion in Österreich startet die parlamentarische Geschäftsprüfungskommission eine Untersuchung und deckt dabei auch auf, dass Bachmann eigenmächtig Vorbereitungen für ein Exil des Bundesrats in Irland vorangetrieben hatte. Albert Bachmann wird 1980 mit 51 Jahren frühzeitig in den Ruhestand versetzt.

Er stirbt 2011 in Irland. Internationale Zeitungen widmen ihm einen Nachruf – und bezeichnen ihn als «Colorful Swiss Spymaster» (New York Times), «James Bond of Switzerland» (The Irish Times) oder als einen «Stümperhaften Spion» (The Daily Telegraph).

Das atomare Wettrüsten der Grossmächte geht Mitte der 1970er-Jahre in eine neue Runde, mit dem Bau von SS-20-Mittelstreckenraketen durch den Warschauer Pakt und ihrer Stationierung direkt hinter dem Eisernen Vorhang. Die USA ihrerseits stationieren mehrköpfige atomare Mittelstreckenraketen, Pershing II, in Westdeutschland. Die Gefahr eines Atomkrieges ist real.

Albert Bachmann: der Mann hinter den Exilplänen in Irland

Armeegeheimdienstler Albert Bachmann kennt den Südwesten Irlands wie seine Westentasche. Er bereist die grüne Insel seit den 1960er -Jahren regelmässig, kauft mehrere Immobilien und erachtet das dünnbesiedelte County Cork, ganz im Westen des europäischen Kontinentes, als idealen und sicheren Zufluchtsort im Fall eines sowjetischen Überfalls auf Westeuropa.

1977 kauft Bachmann zusammen mit Geldgebern aus der Schweiz das 80 Hektar grosse Landgut in der Nähe von Skibbereen. Es soll dem Bundesrat im Ernstfall als Unterschlupf dienen. Einen offiziellen Auftrag für den Kauf hat Bachmann nicht. Bachmann handelt eigenmächtig.

Die Schweizerische Bankgesellschaft finanziert den Kauf mit

Oberst Bachmanns Spezialdienst soll Pläne ausarbeiten, wie im Notfall besonders gefährdete Personen ins Ausland evakuiert und der Widerstand von einem Exilstandort hätte geführt werden können; allerdings ohne konkrete Schritte einzuleiten. Das hält Historiker Titus Meier in seiner Dissertation über die Widerstandsvorbereitungen der Schweiz im Kalten Krieg fest. Darin beleuchtet er auch die Exilvorbereitungen in Irland: «Aus Geheimhaltungsgründen wird geschaut, dass möglichst keine Bundesmittel eingesetzt werden. Man findet mit der Schweizerischen Bankgesellschaft eine Bank, die die Idee unterstützt. Sie gibt Geld für den Kauf des Hotels in Irland.»

Albert Bachmann richtet in Liss Ard House ein Reitsporthotel mit 18 Pferden ein, zwecks Tarnung. Er steht in engem Kontakt mit dem Zürcher Reisebüro Kündig, welches die Kontakte zu den Schweizer Gästen herstellt. Meier: «Das sind die Finanzquellen. Auch über die Vermietungen der Unterkünfte kann man Geld einnehmen.»

Auch Bundesgelder fliessen ins Projekt, weiss Historiker Meier: 1978 und 1979 werden zweimal 50'000 Franken überwiesen – als Miete für Liss Ard House. Damit werden Tests für Funkverbindungen zwischen der Schweiz und Irland finanziert. Meier: «Bachmann handelt eigenmächtig und ohne Einwilligung seiner Vorgesetzten.»

Nationalbankgold für den Bundesrat im Exil

Unabhängig vom Armeegeheimdienst arbeiten auch mehrere Departemente ab den 1950er-Jahren an Plänen für ein Bundesratsexil. «Im Zweiten Weltkrieg wurde klar, welche Folgen die Besetzung eines Landes für die Wirtschaft haben kann», sagt Historiker Titus Meier.

In Bern wurden deshalb Pläne geschmiedet, damit im Besetzungsfall neben der Landesregierung auch die wichtigsten Schweizer Unternehmen ihren Sitz ins Ausland hätten verlegen können. So sollte verhindert werden, dass die Besatzungsmacht auf die Vermögenswerte der Unternehmen zugreifen kann.

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Legende: Historiker Titus Meier hat die Widerstandsvorbereitungen der Schweiz im Kalten Krieg untersucht – und damit auch die Rolle, die Albert Bachmann dabei spielte. SRF

Meier: «Es gab in Bern ein Register, in dem sich die Firmen eintragen konnten. Das hat man sogar noch 1990 aktualisiert. Und grosse Firmen, wie zum Beispiel die Schweizerische Bankgesellschaft oder die Basler Versicherung, hatten Vorbereitungen getroffen, um die wichtigen Dokumente ins Exil mitnehmen zu können.»

Mit Kanada wurde schon in den 1950er-Jahren eine Vereinbarung unterzeichnet, die es dem Bundesrat ermöglicht hätte, die mitgereisten Schweizer Firmen zu besteuern, um so sein Exil zu finanzieren.

Mehr noch: Um über genügende Mittel zu verfügen, war auch der Transfer eines Teils des Nationalbankgoldes vorgesehen – «schon zu Friedenszeiten», sagt Historiker Meier. «Auch im Fall von Irland gab es Überlegungen, Gold der Nationalbank in Depots zu lagern, um über finanzielle Mittel für den Exil-Bundesrat zu verfügen.»

«The Skibbereen Eagle»: Ein Pub mit einer überdimensionierten Küche

Auf dem Liss Ard Anwesen in Irland gibt es nicht genügend Unterkünfte, um sowohl die Schweizer Landesregierung als auch ihre Mitarbeiter unterzubringen und zu verköstigen. Albert Bachmann baut schon 1972 in der Nähe – in Tragumna, direkt an der Küste -, mehrere Cottages und ein Pub, den «Skibbereen Eagle».

«Die Küche war viel grösser ausgelegt als für den Pub nötig – für gegen 100 Personen», sagt Brian McCarthy und zeichnet mit ausladenden Armbewegungen die frühere Dimension der Küche nach. Er ist direkt über dem Pub aufgewachsen. Seine Mutter arbeitete zu Bachmanns Zeiten an der Bar. «Alles war bereit. Falls der Krieg ausgebrochen wäre, hätte die Schweizer Delegation hier verköstigt werden können – mit frischem Fisch aus dem eigenen Teich.»

McCarthy schüttelt den Kopf über die Exilpläne: «Welche Regierung setzt sich im Kriegsfall ins Ausland ab und lässt ihre Bevölkerung im Stich?»

Mit dem tiefen Fall von Oberst Bachmann endet die Irland-Planung

1979 werden die Exilpläne in Irland abrupt gestoppt: Armeegeheimdienstler Albert Bachmann ist bei seinen Vorgesetzten in Ungnade gefallen, nicht zuletzt wegen einer Spionageaffäre in Österreich. Ein Mitarbeiter von Bachmanns Spezialdienst, Kurt Schilling, wird beim Ausspionieren der «Raumverteidigungsübung 79» von Österreichs Armee geschnappt. Eine Untersuchung der Geschäftsprüfungskommission des Parlamentes bringt Bachmanns eigenmächtiges Gebaren an den Tag und macht auch die bis dahin geheimen Irlandpläne publik. Albert Bachmann wird von seinen Funktionen entbunden und mit 51 Jahren in Frührente geschickt.

Der tiefe Fall von Albert Bachmann erregt international Aufsehen: Ein «Super-Spion», mehr noch: der «James Bond der Schweiz» lebe nun im County Cork, schreiben irische Zeitungen halb ernst, halb belustigt.

Zeitungsartikel
Legende: Nach seinem tiefen Fall wurde Albert Bachmann von vielen irischen Zeitungen aufs Korn genommen und als «James Bond der Schweiz» bezeichnet. Michael Gerber

Albert Bachmann kümmern die Schlagzeilen wenig. Er geniesst seinen vorzeitigen Ruhestand: «Ich liebe es, mit Pferden zu arbeiten», sagt er in einem langen Interview dem Westschweizer Fernsehen RTS, das ihn 1981 auf dem Reithof von Liss Ard House besucht. Bachmann versucht, seinen Ruf wieder herzustellen. Ohne Erfolg.

Liss Ard House geht 1989 an den Zürcher Galeristen Veith Turske über und wird laut NZZ zu einem beliebten Treffpunkt für angesagte Künstler, darunter Landschaftskünstler James Turrell, Musiker wie Bono, Nick Cave, Van Morrison, Lou Reed oder Patti Smith.

Und was ist mit dem Gold?

Bis heute wird darüber gerätselt, was es mit dem Gold auf sich habe – ob während des Kalten Krieges tatsächlich Goldreserven der Nationalbank nach Irland gebracht worden sind.

Hoteldirektor Alexi Argyris lacht laut heraus: «Das wüsste ich auch gerne. Sollten wir das Gold finden, müssten wir das Hotel wohl vorübergehend schliessen.»

Auch Historiker Titus Meier schmunzelt über die Goldfrage: «Diese Geschichte hat ein Mitarbeiter von Albert Bachmann in den 1990er-Jahren in Umlauf gebracht. Doch: Das waren nur Planspiele. Die Nationalbank hat kein Gold nach Irland überführt».

10 vor 10, 4.1.2024, 21:50 Uhr;kobt

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