Tanja Steinacher zeigt uns das Kinderzimmer. Die Wiege, der Kinderwagen: Alles war bereit. Noël Säm war ein Wunschkind. Auf dem Unterarm trägt die 33-jähirge ein Tattoo, es sind zwei kleine Fussabdrücke und das Datum 15.5.2024. Es ist das Geburtsdatum ihres Sohnes – und es ist auch sein Sterbedatum. Noël Säm lebte nur wenige Minuten.
«Am Anfang musste ich immer weinen, wenn ich in dieses Zimmer kam», sagt Tanja Steinacher. Das Zimmer helfe ihr bei der Verarbeitung der Trauer.
Doch Zeit zu trauern, wird Tanja Steinacher vom Gesetz nicht zugestanden. Noël Säm verstarb in der 22. Schwangerschaftswoche. Nach heutigem Recht haben Frauen, die ihr Kind vor der 23. Woche verlieren, keinen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub.
Tanja Steinacher arbeitet in einem Vollzeitpensum in der Pflege und im Catering. Sie musste sich für acht Wochen krankschreiben lassen, weil es ihr gesundheitlich schlecht ging.
«Die Regenerationszeit war viel zu kurz, dazu kam die Angst, meine Stelle zu verlieren, sollte ich zu lange krankgeschrieben sein. Man konnte mir jederzeit kündigen. Ich hatte nicht nur mein Kind verloren, sondern musste mir Sorgen machen um einen möglichen Lohnausfall», sagt Steinacher.
Es braucht eine Schonzeit, um das verkraften zu können.
Von politischer Seite her werden Stimmen laut, die einen besseren Schutz für Mütter fordern, die eine Fehl- oder Totgeburt erleiden. SVP-Ständerat Hannes Germann hat einen persönlichen Bezug zum Thema.
Er und seine Frau erlitten selbst eine Totgeburt im fünften Monat. Es sei eine sehr schwierige Situation gewesen, sagt Germann: «Nach einer normalen Geburt ist das Kind da, welches einem Freude bereitet. Doch nach einer Totgeburt ist da einfach eine brutale Stille und Leere und die Frage nach dem Warum. Da braucht es eine Schonzeit, um das verkraften zu können.»
Hannes Germann ist Mitglied der Gesundheitskommission. Zur Diskussion im Parlament stehen vorerst lediglich drei Tage Trauerurlaub.
Ein gestaffelter Mutterschaftsurlaub je nach Schwangerschaftsdauer wäre eine Möglichkeit, die man prüfen könnte.
Grünen-Nationalrätin Irène Kälin fordert, dass Frauen bereits vor der 23. Schwangerschaftswoche Anrecht auf Mutterschutz haben. «Ein gestaffelter Mutterschaftsurlaub je nach Schwangerschaftsdauer wäre eine Möglichkeit, die man prüfen könnte», sagt sie.
Wäre Tanja Steinacher vier Tage länger schwanger gewesen, hätte sie Anrecht auf Mutterschaftsurlaub gehabt. Sie möchte, dass Frauen in Zukunft besser geschützt sind und hofft, dass ihre Geschichte dazu beiträgt.
Hierzulande erleiden zirka 20’000 Frauen pro Jahr eine Fehlgeburt. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein, weil frühe Fehlgeburten statistisch nicht erfasst werden.