«Wir sehen einfach den Bedarf im Markt und wir prüfen deswegen, ob wir wirklich den Nachtzugverkehr wieder ausbauen können.» Diese überraschende Ankündigung macht Armin Weber, Leiter internationaler Personenverkehr der SBB gegenüber «10vor10». Dies, nachdem die SBB bisher von neuen Nachtzügen nichts wissen wollte. Doch die Klimadebatte und der zunehmende politische Druck haben möglicherweise eine Kurskorrektur bewirkt.
«Wir wollen gern im Nachtzugverkehr auch einen Ausbau wiedersehen», so Weber weiter. «Auf welchen Verbindungen schauen wir uns jetzt noch genau an.» Der Ausbau der Nachtzugverbindungen würde mit der ÖBB als Partner erfolgen, aber nicht zum nächsten Fahrplanwechsel. «Wir brauchen für den Ausbau neues Rollmaterial. Dieses wird man in einem Horizont von zwei bis drei Jahren beschaffen können.»
Konkurrenz Billigflieger
Tatsächlich lassen die ÖBB 13 neue Nachtzüge bauen, die bis 2022 einsatzbereit sein sollen. Neben neu designten, modernen Liegewagen mit höchstens vier Betten und Schlafwagenabteilen mit Dusche und WC wird es Mini-Suites geben: Kleine Ein-Bett-Abteile ähnlich wie in Kapselhotels, für mehr Privatsphäre.
Die ÖBB investieren und glauben an die Zukunft des Nachtverkehrs. Sie verzeichnen bei den Reisenden eine stetig steigende Nachfrage, aber dem Reiz des Luftverkehrs könnten viele nicht widerstehen. «Wir sehen das Commitment gegenüber dem Nachtzug und dem umweltfreundlichen Reisen», so ÖBB-Pressesprecher Bernhard Rieder. Was aber trotzdem auch Tatsache sei: «Sobald es Billigfluglinien auf bestimmten Strecken gibt, sinkt auch teilweise die Nachfrage nach dem Nachtzug. Das heisst: Immer ist dieser umweltfreundliche Gedanke noch nicht bei den Fahrgästen angekommen.»
Abgabe auf Flugticket gefordert
Das Flugzeug ist schneller, aber nicht immer kostengünstiger. Trotzdem findet Daniel Costantino, Kampagnenleiter der Umweltorganisation Umverkehr, die Wettbewerbsvorteile des Flugzeugs stossend. «Der Flugverkehr zahlt keine Kerosinsteuer und zahlt häufig keine Mehrwertsteuer auf die Tickets.»
Beim Zug sei es so: «Die Betreiber zahlen Energiesteuer, Trassengebühr und Mehrwertsteuer auf das Ticket.» Damit die Bahnbetreiber eine reelle Chance haben, fordert er eine Abgabe auf Flugtickets. Denn der CO2-Ausstoss sei bis zu dreissig Mal geringer als beim Flugzeug.
Nachtzüge seit 1872
Einsteigen, Schlafen und am Morgen rund 1000 Kilometer entfernt aufwachen: Eigentlich sind Nachtzüge eine geniale Erfindung. Bereits 1872 fuhren die ersten Schlafwagen von Paris nach Wien. Doch die Blütezeit ist vorbei, seit Flugzeuge schneller und oft zu Dumpingpreisen die europäischen Städte miteinander verbinden.
Der Abbau des Schweizer Netzes begann vor 15 Jahren, seitdem sind immer mehr direkte Schlafwagenkurse verschwunden. Städte wie Brüssel, Rom, Barcelona, Moskau, Kopenhagen und Amsterdam sind aus dem direkten Nachtzugnetz verschwunden. 2009 beendete die SBB ihren Nachtzugverkehr mit eigenen Schlafwagen, die Deutsche Bahn hörte 2016 auf. Daraufhin übernahmen die Österreichischen Bundesbahnen einen Teil der Strecken.