7.30 Uhr vor dem Bundeshaus: Zwei Dutzend Jugendliche und einige ältere Personen stehen bei den Abschrankungen und halten Plakate in der Hand: «Shopping schädigt ihren Planeten» steht darauf, und «Jetzt oder nie: Klima-Demo». Auf den Rucksäcken einiger klebt das Logo von Extinction Rebellion. Andere tragen Abzeichen der Bewegung Klimastreik.
Auf einer weiteren Abschrankung hängt ein Plakat mit der Aufschrift «Cassis for President» und die Tessiner Flagge. Diesem Ignazio Cassis wollte die Grüne Parteipräsidentin Regula Rytz den Sitz in der Landesregierung streitig machen.
Eine Grüne im Bundesrat reicht nicht
Grüne Welle im Bundesrat? Damit rechnet hier auf dem Bundesplatz niemand. Warum dann diese Aktion? «Wir wollen Präsenz markieren», erklärt Jan (27), «daran erinnern, dass die Zeit abläuft und Klimamassnahmen ergriffen werden müssen, um Stabilität und Wohlstand weiter zu gewährleisten.»
Die Parlamentarier eilen vorbei. Die Jugendlichen schreiben auf Zetteln ihre Anliegen auf und pinnen sie an eine Korktafel, die sie den Politikern präsentieren. «Wir wollen, dass der Gesamtbundesrat unsere Anliegen wahrnimmt», erklärt Hanna-Ly (17) ihre Erwartungen an diesem Morgen. «Wir sind aber nicht da, um eine bestimmte Person zu unterstützen. Wir sind nicht parteipolitisch.» Und Nathalie fügt an: «Wir hoffen, dass der Bundesrat gesamthaft grüner wird, mehr auf Klimafragen eingeht.»
In dieser Sache sind sich die Jugendlichen auf dem Bundesplatz einig, egal ob sie Extinction Rebellion oder dem Klimastreik angehören. Denn: «Eine grüne Bundesrätin alleine kann diese Probleme nicht alle lösen», sagt Saskia (17), «dafür braucht es sieben Personen, und solche aus allen Parteien».
Oisi Zuekunft!
Bereits um 8.30 Uhr ist die Gruppe auf ein paar Wenige geschrumpft, die auf einem Laptop die Wahl verfolgen. «Wäm sini Zuekunft? Oisi Zuekunft!», rufen sie und singen das Lied Bella Ciao mit abgeändertem Text: «Make it greener, make it cleaner».
Auch einige Privatpersonen sind hier. Sie sei aus Sorge um die Zukunft nach Bern gekommen, sagt Elisabeth (56). Und in Hinblick auf die Kandidatur von Regula Rytz: «Ein bisschen hoffe ich auch auf ein Wunder.» Gehofft hatte sie auch auf mehr Demonstranten.
Kameras aber keine Reaktionen
Auch ein Alt-68er zeigt sich enttäuscht: «Warum bekennt ihr nicht mehr Farbe», fragt er. «Warum stellt ihr euch nicht deutlich hinter eine Grüne im Bundesrat?» Nochmals erklärt Jan, dass es nicht um Parteipolitik gehe und die Aktion den Konsens der Bewegung ausdrücken solle.
Bis kurz vor 10 Uhr hat die Batterie des Laptops ihren Geist aufgegeben – auf Handys wird das Geschehen weiterverfolgt, denn nun gilt es Ernst. Die Kameras der Medienleute – sie sind fast in der Mehrzahl – sind auf die Aktivisten gerichtet, um den Moment der Verkündung des Resultats im entscheidenden Wahlgang festzuhalten. Doch als um 10.12 Uhr die ersten Pushes die Wiederwahl von Ignazio Cassis melden, zeigen die Aktivisten keine Reaktionen.
Jetzt erst recht
«Wir machen weiter», sagt Michelle vom Klimastreik (26), «jetzt erst recht». Das Engagement der Klimabewegung mache nun noch mehr Sinn – jetzt, wo sich gezeigt habe, dass mit den Politikern nicht zu rechnen sei.
Dass der Klimajugend nun die Leute abspringen können, befürchtet Jan nicht: «Es ist kein Hype, das hier wird weitergehen. Man kann die Klimakrise nicht ignorieren.»