Sie tritt ab – doch ihre Arbeit ist längst nicht getan: Die Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus wünscht sich, dass Prävention und Sensibilisierung weitergeführt werden. Rassismus sei in der Gesellschaft als Problem anerkannt: Das sei wichtig, um dagegen ankämpfen zu können, so Brunschwig Graf im Interview mit SRF.
SRF News: Martine Brunschwig Graf, Sie treten ab in einem Moment, in dem das Thema Rassismus – und Antisemitismus – aktueller ist denn je.
Martine Brunschwig Graf: Immer, wenn es Krieg in Nahost gibt, kommt es zu mehr Antisemitismus in der Schweiz – leider. Ereignisse im Ausland haben einen Einfluss auf den Rassismus in der Schweiz. Im Moment ist die Polarisierung besonders gross.
Man muss das Phänomen kennen, ehe man es bekämpfen kann.
Man muss aufpassen, dass die Situation nicht eskaliert. Alle müssen da mitmachen und gegen Antisemitismus und Rassismus kämpfen. Krisen sind kein Grund, um Antisemitismus zu propagieren.
Während Ihrer Amtszeit ist die Zahl der bei Beratungsstellen gemeldeten Vorfälle stark angestiegen – etwa aus Situationen am Arbeitsplatz, im Bildungsumfeld oder im Umgang mit der Verwaltung.
Daraus kann man nicht schliessen, dass der Rassismus zunimmt. Was man weiss: Heute wenden sich mehr Betroffene an Beratungsstellen, wenn sie eine rassistische Diskriminierung erleben. Das war auch das Ziel, dass sich diese Menschen trauen und sich melden – und dass man ihre Geschichte hört und vermitteln kann.
Rassismus ist heute mehr ein Thema – und das ist nicht nur negativ?
Laut Umfragen des Bundesamtes für Statistik finden heute 60 Prozent der Leute, dass Rassismus in der Schweiz ein gesellschaftliches Problem darstellt. Das ist gut. Denn wenn die Leute glauben würden, es sei alles in Ordnung, könnten wir keine Präventionsmassnahmen machen und unsere Arbeit wäre gar nicht relevant. Dieses Bewusstsein ist zentral, um Rassismus bekämpfen zu können.
Wo setzen Sie an?
Wir unterstützen Präventionsmassnahmen und die Sensibilisierung. Dazu schaffen wir mit Studien und Analysen wichtige Grundlagen. So stellten wir beispielsweise fest, dass das Thema Rassismus in den Lehrplänen nicht erscheint. Wir beobachten auch den Umgang mit der Antirassismus-Strafnorm und sprechen mit den Medien über die Bilder, die sie transportieren.
Wenn man immer Lärm macht, hören die Leute nicht mehr hin.
Während die SVP Ihre Kommission im Wahlkampf als «Zensurbehörde» betitelte, wünschen sich NGO-Kreise verstärkt ein proaktiveres Vorgehen.
Es ist unsere Rolle zu sagen, wenn es zu weit geht. Dabei geht es nicht darum, ob eine Äusserung strafbar ist oder nicht, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen für die Stimmung im Land. Aber wir sind keine Aktivisten und keine NGO. Wir melden uns zu Wort, wenn es wichtig ist oder wenn man uns anfragt. Denn wenn man immer Lärm macht, hören die Leute nicht mehr hin. Rassismus darf nicht banal werden.
Welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft?
Bereits heute ist die Hassrede im Internet ein Thema. Was auf den sozialen Netzwerken und anderswo im Internet passiert, wird uns noch stark beschäftigen. Wir haben deshalb die Plattform reportonlineracism.ch ins Leben gerufen, wo Rassismus im Netz gemeldet werden kann. Das ist wichtig, denn man muss das Phänomen kennen, ehe man es bekämpfen kann.
Das Interview führte Felicie Notter.