Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat am Donnerstag eine Erhöhung der durchschnittlichen Krankenkassenprämie um sechs Prozent für das kommende Jahr angekündigt. In der Bevölkerung wachsen Ärger und Unverständnis über die ständig steigenden Preise. Heinz Locher kennt das Gesundheitswesen wie wenig andere. Er sagt: Ein moderateres Preiswachstum ist möglich, aber die Politik muss mehr tun.
SRF News: Hört das Prämienwachstum irgendwann wieder auf?
Heinz Locher: Es ist davon auszugehen, dass dies nicht mehr der Fall sein wird. Die Frage ist eher, um wie viel und warum die Kosten steigen. Und in dieser Frage strahlen die Verantwortlichen meines Erachtens derzeit eine Art Hilflosigkeit aus, die lähmt.
Wieso ist das so?
Jede Interessengruppe kann die Vorhaben der anderen durchkreuzen, aber selbst nichts durchsetzen.
An der Politik allein kann es aber nicht liegen – schliesslich schreitet der demografische Wandel ja unaufhaltsam voran.
Die Überalterung ist eine Tatsache. Dennoch gibt es Optimierungspotential. Das System stellt etwa vielerorts immer noch zu viele Plätze bereit. Aber viele Kantone sind mit dem Reformbedarf überfordert. Die politischen Risiken sind einfach zu gross – Regierungsräte wurden schon abgewählt, weil sie die Schliessung von Regionalspitälern gefordert haben. Es braucht Führung von oben. Dabei kritisiere ich auch Frau Baume-Schneider. Sie hat am Donnerstag einen Runden Tisch angekündigt – aber das reicht nicht.
Könnte sich die Schweiz bei anderen Ländern etwas abschauen?
Ich war früher selbst Berater der WHO und bin viel gereist. Dabei habe ich gelernt, dass man ein Gesundheitssystem nicht von der politischen Kultur eines Landes trennen kann. Die Niederlande zum Beispiel haben fünf Universitätskliniken – genau wie die Schweiz, obwohl sie mehr Einwohner haben. Aber wenn ich meine Kollegen dort gefragt habe, wie sie das machen, haben sie gesagt: «Das erledigt alles der Zentralstaat». In der Schweiz wäre das undenkbar. Man kann einzelne Elemente übernehmen, aber nicht das ganze System.
Ich erwarte, dass die Politik einsieht, dass wir uns in einer Krisensituation befinden.
Welche Rolle spielen denn die Krankenkassen? Braucht es weniger von ihnen?
Eine Reduktion wäre angezeigt – würde aber das Problem nicht vollständig lösen. Die Krankenkassen sind einerseits der schwächste Akteur im System, andererseits erfüllen sie ihre Aufgabe aber auch nicht vollumfänglich. Von Gesetzes wegen müssten sie sich eigentlich auch um die Versorgung kümmern und nicht nur um die Krankenkassenprämien.
Es bleiben die Kosten für die Versicherten. Hier scheint bei vielen der Schuh immer stärker zu drücken. Sehen Sie das auch so?
Gesamtwirtschaftlich ist die aktuelle Kostenentwicklung im Gesundheitswesen verkraftbar. Dennoch haben wir auf der einen Seite ein finanzielles Problem für bestimmte Familien. Und andererseits haben wir ein Qualitätsproblem: Jedes Jahr kommt es in der Schweiz zu 2000 vermeidbaren Todesfällen. Die Patientensicherheit ist nicht sichergestellt – und sie wird auch nicht gemessen.
Was erwarten sie denn von der Politik?
Reformen sind immer schwierig – so oder so. Man könnte etwa mehr ambulante Behandlungen forcieren, weil sie weniger personalintensiv sind als stationäre. Das hätte aber auch zur Folge, dass viele Betten leer blieben. Das ginge den Spitälern und Kliniken ans Eigenkapital. Sie sehen: Es ist sehr kompliziert. Genau deshalb braucht es die politische Führung von Bund und Kantonen. Ich erwarte, dass die Politik einsieht, dass wir uns in einer Krisensituation befinden.
Das Gespräch führte Patrick McEvily.