Drei Jahre Shutdown – da ist weder die Rede von Corona-Massnahmen, noch von der Stilllegung der US-Bundesverwaltung: Gemeint ist der Teilchenbeschleuniger des Genfer Nuklearforschungsinstituts Cern, der während drei Jahren zu Wartungs- und Aufrüstungsarbeiten stillgelegt wurde.
Nun endet der Shutdown des «Large Hadron Colliders», kurz LHC – und damit der Zeitraum, indem die unterirdischen Forschungseinrichtungen überhaupt begehbar sind. Eine seltene Gelegenheit für einen Augenschein in der Tiefe.
Kollision bei Lichtgeschwindigkeit
Während der Teilchenbeschleuniger läuft, können selbst Forscherinnen und Forscher nur im Notfall und mit Spezialausrüstung zum 27 Kilometer langen, unterirdischen Tunnel hinuntersteigen. Zu hoch wären Radioaktivität und Magnetismus.
Dass der Shutdown drei Jahre gedauert hat, ist praktischen Gründe geschuldet: «Damit die Maschine funktioniert, müssen die Magnete der Maschine auf minus 270 Grad heruntergekühlt werden», erklärt Physiker Michi Hostettler. Darum könne man sich nicht erlauben, dass im laufenden Betrieb etwas kaputt ginge: Es würde Monate dauern, die Anlange hoch- und wieder herunterzukühlen.
Damit die Maschine funktioniert, müssen die Magnete der Maschine auf minus 270 Grad heruntergekühlt werden.
«Wird der LHC für mehrere Jahre abgeschaltet, so hat man Zeit für alle aufgestauten Wartungsarbeiten», so Hostettler.
Wolken fliegen weiter
Der Berner Physiker sorgt im Kontrollzentrum des Cern dafür, dass der Teilchenbeschleuniger richtig funktioniert, sobald er wieder läuft: Konkret sollen zwei Strahlen von Teilchen, sogenannte Blei-Ionen, aufeinanderprallen. Mit den frisch aufgerüsteten Beschleunigern erhöht sich die Kollisionsrate stark. «Man muss sich das so vorstellen, wie wenn zwei Wolken kollidieren, nicht wie zwei Steine», so Hostettler.
Die meisten Teilchen kollidieren demnach nicht miteinander, sondern fliegen aneinander vorbei und drehen weiter ihre Runden durch den LHC-Tunnel. Und das mit Lichtgeschwindigkeit: Pro Sekunde fliegen sie über 11'000 Mal im Kreis herum. «Nach etwa zehn Stunden sind dann so viele Teilchen kollidiert, dass nur noch die Hälfte übrig sind, diese entsorgen wir und befüllen das Rohr erneut mit Strahlen.» Die erhöhte Kollisionsrate steigere die Chance, neue Elementarteilchen zu entdecken.
Die letzte grosse Entdeckung am Cern war die Entdeckung des sogenannten «Gott-Teilchens» 2012, des Higgs-Boson-Teilchens.
Am Ursprung des Universums
Ziel ist es, aus den Kollisionen Rückschlüsse auf grundlegende Phänomene des Universums zu machen. Jochen Klein erhofft sich neue Erkenntnisse zum Urknall. Er ist Upgrade-Koordinator von «Alice», einem der vier grossen Detektoren am LHC-Tunnel. Das ist der Ort, an dem die Teilchen miteinander kollidieren. «Wir versuchen, damit Materie zu erzeugen, wie sie direkt nach dem Urknall existiert hat», erklärt Jochen Klein.
Es gehe darum, die grundlegenden Naturgesetze zu verstehen. Ähnlich wie bei der Gravitation gehe es bei den starken Wechselwirkungen auch um Körper, die eine Masse haben und sich anziehen. «Aber sehr, sehr viel stärker», so der Forscher.
Der Alice-Detektor ist 16 Meter hoch, 25 Meter lang und so schwer wie der Eiffelturm. Auch hier wurde alles auf den neusten Stand gebracht – von den riesigen Magneten bis zu den unzähligen Messinstrumenten. «Bisher konnten wir nur Momentaufnahmen machen», erklärt Jochen Klein. «Neu haben wir von den Kollisionen quasi ein Video im Livestream.» Nun sei alles bereit, den LHC schrittweise wieder hochzufahren. In ein bis zwei Monaten sollen wieder erste Teilchen-Kollisionen möglich sein.