Das Wichtigste in Kürze
- Derzeit wird in der Deutschschweiz der Lehrplan 21 umgesetzt. Man sei auf Kurs, sagt der Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz.
- Die Kritiker des Lehrplans sagen weiterhin, die Volksschule entwickle sich in eine falsche Richtung.
- Ein Kritiker will im Internet eine Plattform für Lehrplangegner gründen.
Der Zuger Bildungsdirektor Stephan Schleiss ist auch Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz. Damit ist er sozusagen der oberste Hüter über den Lehrplan 21, mit dem die Ziele der Volksschule in den Deutschschweizer Kantonen harmonisiert werden sollen. Er ist damit zufrieden, wie die Umsetzung des Lehrplans läuft: «Man ist in allen Kantonen auf Kurs.»
Am Anfang hätten die vielen kantonalen Volksinitiativen gegen den Lehrplan 21 für Verunsicherung gesorgt, sagt Schleiss. Als aber die ersten Abstimmungen mit einem klaren Ja zum Lehrplan geendet hätten, sei wieder Ruhe eingekehrt. «Die Debatte hat nicht furchtbar viel an den Lehrplänen geändert.» Dennoch sei es eine wichtige Debatte gewesen, wohl auch im Sinn eines «Blitzableiters».
Kritiker haben Sorgen
Das sieht Alain Pichard anders. Er ist ein Lehrplankritiker der ersten Stunde. Der Lehrer in der Oberstufenschule in der Berner Gemeinde Orpund nahe bei Biel sagt, die Initiativen seien viel mehr als ein Blitzableiter für frustrierte Lehrer. Sie würden zeigen, dass sich die Volksschule in eine falsche Richtung entwickle: «Diese Entwicklung macht uns Sorgen.» Es sei ihm und seinen Mitstreitern nicht gelungen, ihre Argumente in den Abstimmungskämpfen zu erklären.
Es war eine wichtige Debatte, vielleicht im Sinn eines Blitzableiters.
Pichard stört die Kompetenzorientierung des neuen Lehrplans. Dieser beruht auf dem Konzept von Kompetenzen, also von Fähigkeiten, welche die Schülerinnen und Schüler beherrschen müssen. Dies im Gegensatz zu früher, als das Wissen im Zentrum der Lehrpläne stand. Diese Kompetenzorientierung des neuen Lehrplans ist bei den Kritikern wie Pichard umstritten, weil sie zu einer Vermessung der Schule führe, also dazu, dass die einzelnen Schüler und auch die Schulen miteinander verglichen würden.
Schreckgespenst Schulrankings
Am Ende sei man bei Schulrankings, wie sie etwa aus Grossbritannien oder den USA bekannt seien. Pichard spricht von einem «Vermessungswahn». Die Kompetenzorientierung habe im Ausland teils verheerende Folgen. Die Lehrer würden in ihrer Methodenfreiheit eingeschränkt und zu «Lern-Coaches» degradiert.
Es geht uns um den Vermessungswahn – überall wird vermessen und verglichen.
Diese Sorge sei unberechtigt, sagt Schleiss. Die Lehrerinnen und Lehrer würden ihre Freiheit auch unter dem neuen Lehrplan behalten. In einem Punkt gibt Schleiss dem Lehrplankritiker allerdings recht: Ja, der neue Lehrplan führe zu mehr Vermessung und Vergleichbarkeit in der Schule. Aber das müsse nichts Schlechtes bedeuten. Entscheidend sei, was man mit diesen Messresultaten anstelle: «Wenn man die Testresultate den Schulen zurückgibt und ihnen aufzeigt, wo sie Nachholbedarf haben, kann das durchaus Gewinn bringen.»
Nicht querstellen
Nachdem die Volksinitiativen abgelehnt worden sind, sind nun praktisch alle Deutschschweizer Kantone daran, den Lehrplan 21 stufenweise einzuführen. Die Kritiker sehen ein, dass sie den Kampf verloren haben. Aber verstummen werden sie nicht: Alain Pichard organisiert für Ende Mai ein grosses Treffen der kritischen Stimmen. Auch möchte er im Internet eine Plattform für Lehrplankritiker gründen. Um die kritischen Kräfte zu vernetzen, wie er sagt.
Pichard will also weiterkämpfen für eine Schule möglichst ohne standardisierte Tests, ohne Vermessung und Rankings. Aber völlig querstellen wird er sich nicht: Als Lehrer im Kanton Bern wird er mithelfen, den neuen Lehrplan ab dem nächsten Schuljahr auch an seiner Schule einzuführen.