«Ich habe wie in einem Märchen gelebt», sagt Heidi Meier (Name geändert). Die reflektierte, wache Frau ist Opfer von Liebesbetrug im Internet geworden und hat rund 30'000 Franken verloren.
Heidi Meier kommt aus dem Aargau, arbeitet im Bildungswesen, ist Mitte 40. «Rückblickend hat vieles nicht zusammengepasst», gibt sie zu. Dass auch eine Frau wie sie zum Opfer werden kann, zeigt: Die Täter sind Profis.
Erwischt hat es Heidi Meier in einer schwierigen Lebensphase nach ihrer Scheidung, mitten in der Corona-Pandemie. Ein Mann meldet sich über eine Datingplattform. Er sei Kunsthändler aus England, so seine Geschichte. «Ich habe die Galerie im Internet gesucht und etwas Ähnliches gefunden. Wir haben telefoniert, seine Nummer kam aus England», erzählt das Opfer. Sie habe ihre Zweifel beiseite geschoben.
Eine intensive «Beziehung», dann die Falle
Heidi Meier und ihr vermeintlicher Märchenprinz telefonieren und chatten häufig. Dann – nach Corona – kündigt er eine geschäftliche Reise in die Türkei an. Auf dem Heimweg wolle er sie besuchen kommen. Nun schnappt die Falle zu.
Ein Telefonanruf aus der Türkei: Er und sein Sohn seien überfallen worden, sie bräuchten dringend Geld. Heidi Meier realisiert, dass sie wohl betrogen wird. «Ich habe gebockt, habe mich geweigert. Doch dann ging es weiter», so die Aargauerin. Er habe sie emotional erpresst. Wenn sie ihm nicht helfe, dann sei es halt aus. «Zuckerbrot und Peitsche», sagt Heidi Meier.
Ich war emotional abhängig von dieser fremden Person.
Sie knickt ein. Sogar ein Bankangestellter kann sie nicht mehr aufhalten. «Der nette Mann hat mich gefragt, ob das wirklich wahr sei. Er versuchte, mich wachzurütteln. Aber ich habe nicht auf ihn gehört.» Heidi Meier überweist insgesamt 30'000 Franken an den oder die Betrüger.
Die Geschichte endet erst, als Bekannte von ihr Anzeige erstatten. Anzeige gegen sie. «Die Polizei rief mich am Arbeitsplatz an. Man könnte mir meine Kinder wegnehmen, hiess es. Da war schlagartig fertig.»
Millionenschaden durch «Romance Scam»
Heidi Meier erzählt ihre Geschichte, weil sie andere Menschen damit warnen will. Viele Opfer schweigen und erstatten auch keine Anzeige, denn sie schämen sich für ihre Gutgläubigkeit. Die Dunkelziffer sei entsprechend hoch, heisst es bei der Aargauer Kantonspolizei. Aber keine Anzeige zu erstatten, sei falsch.
«Die Täter sind Profis. Sie spielen beruflich mit Gefühlen und Ängsten», sagt Mediensprecherin Corina Winkler. «Sie nutzen das lange aufgebaute Vertrauensverhältnis aus.» Dass die Masche erfolgreich ist, zeigen die aktuellsten Zahlen aus dem Aargau.
Die Täter spielen beruflich mit Gefühlen und Ängsten.
Allein im Jahr 2023 haben Liebesbetrüger hier fast 2.8 Millionen Franken ergaunert. Die Zahlen in den Jahren 2022 und 2021 waren sogar noch höher, auch durch die Corona-Pandemie bedingt, wie es bei der Polizei heisst.
Gesamtschweizerisch hat die Polizei im Jahr 2022 knapp 700 sogenannte «Romance Scam»-Fälle erfasst. Davon konnten nicht einmal 18 Prozent geklärt werden. Neuere Zahlen gibt es noch nicht, die offizielle Kriminalstatistik für das Jahr 2023 wird erst Ende März publiziert.
Wie hoch die Deliktsumme in der ganzen Schweiz ist, wird nicht erfasst. Die Daten aus dem Kanton Aargau zeigen aber: Es geht um Millionen. Auch deshalb bemühen sich verschiedene Polizeikorps um Prävention.
Heidi Meier will ebenfalls bei der Aufklärung über «Romance Scam» helfen. Vor allem aber will sie den Opfern helfen. Aus diesem Grund hat sie nun die erste Selbsthilfegruppe für Opfer von Online-Liebesbetrug im Aargau ins Leben gerufen.