«Als ich die ersten Bilder sah, habe ich gedacht, das ist ja nicht möglich», sagt Heinz Ehrbar. Der Bauingenieur lehrt an der ETH Zürich Baubetrieb Untertagbau. Ausserdem war er Leiter des Tunnel- und Trasseebaus beim Gotthard-Basistunnel. Zuerst habe er Tropfwasser vermutet, aber die riesige Wassermenge habe er sich nicht vorstellen können.
Bis zu 100 Liter schlammiges Wasser pro Sekunde ist 2.5 Kilometer nach dem Südportal über die Tunnelscheitel eingedrungen. Betroffen sind die Ost- und die Weströhre.
«Wir gehen momentan davon aus, dass wir eine starke Veränderung im Karstwassersystem haben und dass dadurch sehr viel Schlamm eingetragen worden ist. Das hat unsere Bergwasserleitungen verstopft und dadurch konnte das Wasser eindringen», sagt Stefan Irngartinger. Er ist Bauingenieur und Projektleiter von BLS Alptransit, der Bauherrin des Basistunnels.
Kaum einfach ein Naturereignis
«Das ist jetzt nicht einfach ein Naturereignis», meint Heinz Ehrbar von der ETH: «Beim Bau der Basistunnel hat man alles gemacht mit Abdichtungssystemen und Qualitätssicherungsmassnahmen, damit so ein Ereignis nicht eintreten kann.»
Wasser ist in jedem Tunnel ein Problem, auch beim Lötschberg-Basistunnel gibt es kritische Abschnitte. Darum wird an solchen Stellen eine Abdichtung eingebaut. Der Fels wird zuvor mit Spritzbeton aufgefüllt. Dann folgt eine Drainage-Schicht. Diese besteht an den Wassereintrittsstellen im Lötschberg-Basistunnel aus einem Wirrgeflecht. Darauf liegt eine wasserdichte Folie aus Kunststoff und schliesslich die Innenschale aus Beton; das sichtbare Tunnelgewölbe.
Loch in der Abdichtungsfolie?
Für Heinz Ehrbar gibt es zwei Möglichkeiten: «Entweder hat das Abdichtungssystem versagt, das irgendwo ein Loch hat, wo das Wasser durchdrückt. Oder das Wasser hat einen anderen Weg gefunden.»
Es müsse dann um das abgedichtete System herumgelaufen sein und dann in den Tunnel. Falls es ein Loch in der Folie gegeben habe, sei dies eine Katastrophe, so Ehrbar. «Dann bin ich der Auffassung, dass man kaum drumherum kommt, langfristig den Fall zu sanieren.»
Und im Gotthard-Basistunnel?
Nun stellt sich die Frage, ob so ein Wassereinbruch auch im Gotthard-Basistunnel möglich ist. Heinz Ehrbar legt dar, dass der Gotthard-Basistunnel auf seiner gesamten Länge mit einer Abdichtungsfolie versehen sei.
Der Lötschberg-Basistunnel jedoch nur an den Stellen, wo beim Bau Wassereintritte sichtbar waren. Die anderen Zonen habe man mit Drainagematten entwässert. Unten in der Tunnelsohle habe man bei beiden Tunneln keine Abdichtung, da könne es natürlich auch im Gotthard einen Wasseraufstieg geben, so Ehrbar.
Für die BLS Alptransit stehe das Hinterfragen der Abdichtungssysteme momentan nicht im Vordergrund. «Für den Weiterausbau des Lötschberg-Basistunnels werden wir uns sicherlich nochmals Gedanken machen, aber diese eingebauten Systeme sind Stand der Technik und wir sehen momentan keine Veranlassung, diese grundlegend zu hinterfragen», sagt BLS Alptransit-Projektleiter Stefan Irngartinger zu «10vor10».
Die exakte Ursache für den Wasserschaden bleibt vorderhand offen. Ab Freitag ist der Tunnel wieder befahrbar.
«10vor10», 19.02.2020, 21:50 Uhr; kurn