Mitte März erkrankte Sandra Corbellini an Covid-19. Die Lehrerin erwischte es heftig: starke Schmerzen im Bauch und am ganzen Körper, Atemnot, totale Erschöpfung. Diese Symptome gingen auch Wochen nach der Infektion nicht weg. «Ich kam kaum noch einen Berg hoch wegen Atemnot», sagt sie. Auch habe sie immer wieder Herzprobleme, ähnlich einer Angina Pectoris.
Heute, mehr als ein halbes Jahr nach der Infektion mit Covid-19, haben sich die Symptome der 52-Jährigen zwar abgeschwächt. Trotzdem sei ihr Befinden unberechenbar. «Tagelang geht es mir gut – und dann kommt es wieder.»
Die Müdigkeit geht nicht weg
Auch der Konzertsänger und Hochschullehrer Jörg Dürmüller aus Thun kämpft ein halbes Jahr nach seiner Covid-Infektion mit anhaltenden Beschwerden. Er sei andauernd müde, sagt er. «Ich möchte manchmal einfach nur noch schlafen.»
Weder Sandra Corbellini noch Jörg Dürmüller waren im Frühling wegen Covid-19 im Spital. Trotzdem hält die Krankheit sie im Griff. Ähnliches beobachtet Patrick Brun, Chefarzt der Rehaklinik Heiligenschwendi im Kanton Bern. Dort wurden während der ersten Welle Covid-Patienten mit schweren Verläufen nachbetreut.
Doch im Sommer bekam Patrick Brun auch Patienten zugewiesen, die gar nie im Spital waren und einen milden Verlauf der Krankheit hatten. «Doch sie mussten in die Reha, weil sie teilweise nicht mehr in der Lage waren, ihr bisheriges Leben weiterzuführen», sagt Brun.
Sehr unterschiedliche Symptome
«Long Covid», wie Fachpersonen das Phänomen der Langzeitfolgen einer Coronainfektion nennen, ist ein Rätsel mit einer Vielzahl von Symptomen: Organische Beschwerden, ausgeprägte Müdigkeit und Abgeschlagenheit, Konzentrationsschwierigkeiten, aber auch psychische Leiden wie Depression und posttraumatischen Störungen kommen vor.
Der britische Lungenspezialist Philip Pearson sagt über «Long Covid», es sei einfacher zu sagen, was «Long Covid» nicht ist, als was es ist. «Auf jeden Fall ist es mehr, als einfach von einer Lungenentzündung zu genesen.»
Pearson ist an einem gross angelegten Forschungsprojekt beteiligt, welches das nationale Forschungsinstitut NIHR des Vereinigten Königreichs zu «Long Covid» lanciert hat. Das Ziel der ehrgeizigen Studie: Daten sammeln von möglichst vielen Patientinnen und Patienten, die an Spätfolgen der Infektion leiden.
Von den Ärzten endlich ernst genommen
Auch in der Schweiz sind in kleinerem Rahmen diverse Forschungsarbeiten zu Langzeit-Covid angelaufen. So ist auch Jörg Dürmüller seit Juni in eine Covid-Langzeitstudie des Inselspitals Bern involviert – für den Sänger ein Segen.
Zuvor hatte kein Arzt erwogen, seine Symptome Covid-19 zuzuschreiben. Dürmüller kam sich vor wie ein Simulant. So ergeht es weltweit vielen Betroffenen mit anhaltenden Beschwerden: Sie fühlen sich nicht ernst genommen. «Ich hatte das Gefühl, ich müsse bald in die Klapsmühle», sagt er.
Inzwischen nimmt zumindest die Forschung das Thema ernst. Um zu beurteilen, ob Covid-19 bleibende Folgen verursacht, oder ob die Symptome doch nur vorübergehend sind, braucht es nun vor allem eins: mehr Daten.