Vor 14 Jahren ging die Erfolgsgeschichte von Berna Biotech zu Ende. Seither tobt ein Streit über die Versorgungssicherheit der Schweiz.
In den Nullerjahren wurde alle paar Sekunden jemand mit einem Impfstoff aus Thörishaus im Kanton Bern geimpft – weltweit. Sei es gegen Cholera, Typhus oder auch gegen Grippe. Berna Biotech war weltberühmt. Sie war eine der wenigen Firmen überhaupt, die Impfstoffe gegen Sars herstellte. Doch die Zeiten des Ruhmes sind vorbei.
Managementfehler und Wachstumsphantasien machten das Serum- und Impfinstitut nach Börsengang und Namensänderung in Berna Biotech 2001 zum Spielball von Spekulanten. 2006 beendete das niederländische Unternehmen Crucell mit der Übernahme eine über 100-jährige Schweizer Firmengeschichte. In den Jahren danach wurde Crucell regelrecht zerpflückt.
Seit langem warnen Ärzte vor Versorgungsengpässen bei Impfstoffen, sagt Gesundheitsökonom Tilman Slembeck von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Für ihn hat der Bund die Aufgabe, für die Impfstoff-Versorgung Investitionen freizugeben.
Es ist eine totale Illusion, dass man in einer Krise alles vom Ausland beziehen kann. Jedes Land schaut zuerst auf sich bei den Impfstoffen.
Die Schweiz brauche wieder eine eigene Impfstoffproduktion, man könne nicht nur vom Ausland abhängig sein: «Es ist eine totale Illusion, dass man in einer Krise alles vom Ausland beziehen kann. Jedes Land schaut zuerst auf sich bei den Impfstoffen.»
Politische Vorstösse bisher ohne Chance
Die Abhängigkeit vom Ausland treibt Politiker schon seit 15 Jahren um. Doch die Angst vor kleinsten staatlichen Eingriffen überwiegt – auch in Pandemiezeiten. Berna Biotech wäre während der Vogelgrippe 2005 für eine Vorinvestition des Bundes von 12 Millionen Franken bereit gewesen, sieben Millionen Impfdosen für die Schweizer Bevölkerung herzustellen.
CVP-Nationalrätin Ruth Humbel unterstützte den Ausbau der Impfkapazitäten im Parlament – vergebens: «Es war politisch nicht umzusetzen. 12 Millionen Franken für den Schutz der Bevölkerung, wenn man bedenkt, dass wir heute 40 Milliarden für die wirtschaftlichen Schäden der Corona-Pandemie ausgeben.»
Ärzte fordern garantierten Zugang zu Impfstoffen
80 Prozent der weltweit eingesetzten Impfstoffe werden in China produziert. Für Carlos Quintos, Mitglied des Zentralvorstands der Schweizer Ärztegesellschaft FMH, ein unhaltbarer Zustand. «Wir erleben seit Jahren eine erhebliche Impfstoff-Knappheit in der Schweiz. Der Impfstoff geht uns aus, noch während wir eine Kampagne am Laufen haben – beispielsweise gegen Masern oder Röteln.»
Wir erleben seit Jahren eine erhebliche Impfstoff-Knappheit in der Schweiz.
Es brauche wieder eine Impfstoffherstellung in der Schweiz oder zumindest eine in Europa, bei welcher der Zugang für die Schweiz garantiert und geregelt ist.
Forderung an den Bund
Für Humbel ist klar: Der Bund muss jetzt aktiv werden. Er dürfe die Impfstoffproduktion nicht nur dem Markt überlassen: «Die EU und die Schweiz sollen sich mit der Pharmaindustrie zusammentun, um die Impfstoff-Produktion aus China wieder zurückzuholen.»
Die Berna-Biotech-Produktion in Thörishaus hat vor etwa zwei Jahren die US-Firma Emergent BioSolutions gekauft. Produziert werden dort immer noch Impfstoffe gegen Typhus und Cholera. Emergent BioSolutions hat Mitte März bekannt gegeben, dass sie neue Impfstoffe gegen das Coronavirus entwickeln wollen – jedoch in den USA, nicht in der Schweiz.