Mit der Gleichberechtigung hapert es bekanntlich an vielen Orten. Dass es auch in der medizinischen Forschung Probleme in dieser Hinsicht gibt, ist weniger bekannt. So reagieren Frauen oft anders auf Krankheiten als Männer. Doch das ist bislang kaum erforscht.
Das will die internationale Organisation Women's Brain Project (WBP) mit Sitz in der Schweiz ändern. Ihre Mitglieder versuchen die Ergebnisse zur Gender-Forschung im Bereich Nervenkrankheiten zu bündeln und neue Projekte auf diesem Gebiet voranzutreiben.
Das Problem fängt schon bei den ersten Versuchen an, wo oft nur männliche Mäuse benutzt werden
Bisher Männer bei Forschung im Zentrum
«Eine Studie hat gezeigt, dass von zehn Medikamenten, die vom Markt genommen werden mussten, ganze acht zu sehr grossen Nebenwirkungen bei Frauen geführt hatten», sagt Antonella Santuccione, WBP-Mitgründerin und – im Nebenamt – Geschäftsführerin der Organisation.
«Das Problem fängt schon bei den ersten Versuchen an, wo oft nur männliche Mäuse benutzt werden», so Santuccione, «und es geht weiter in der klinischen Forschung, wo sehr viel mehr Männer rekrutiert werden als Frauen.» Sprich: Viele Medikamente werden viel stärker an Männern erforscht.
Die Medizinerin Antonella Santuccione beschäftigt sich seit Jahren mit Alzheimer – früher bei Roche, nun bei der Firma Biogen. Gerade von Alzheimer seien doppelt so viele Frauen wie Männer betroffen, sagt Santuccione. Andererseits seien etwa bei Parkinson doppelt so viele Männer wie Frauen betroffen. Weshalb das so sei, wisse man aber praktisch nicht.
Mit einem jährlichen Forum bringt das WBP solche Themen aufs Tapet. Dieses Jahr hätte es in Basel stattfinden sollen, wegen Corona ging es virtuell über die Bühne. Experten aus aller Welt diskutierten Forschungsergebnisse und Lösungsansätze.
Um dem Thema noch mehr Aufmerksamkeit zu verleihen, will die Organisation nun ein Institut aufbauen, das sich der Gender-Medizin widmet. Starten soll es nächstes Jahr. Und zwar in der Pharmastadt Basel, wo das Umfeld günstig sei, sagt Antonella Santuccione. Gespräche mit Investoren und Spendern würden derzeit geführt. Der Basler Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger unterstützt das Unterfangen; er hat das diesjährige Forum eröffnet.
Unterstützung durch Universität Basel
Zwar gebe es weltweit einzelne Initiativen, sagt Santuccione. «Wir möchten aber ein richtiges Institut etablieren, wo wir die Unterschiede zwischen Männern und Frauen studieren. Damit man in Zukunft bessere Medikamente und Technologien entwickeln kann.» So soll das Institut einen festen Sitz in Basel mit mehreren Angestellten erhalten.
Wir möchten ein richtiges Institut etablieren, wo wir die Unterschiede zwischen Männern und Frauen studieren. Damit man in Zukunft bessere Medikamente und Technologien entwickeln kann.
Dabei soll auch mit der Universität Basel zusammengearbeitet werden, die ein grosses Interesse an einem solchen Institut hat, wie Torsten Schwede, Vizerektor Forschung, erklärt. Er blickt aber bereits in die Zukunft: «Die Unterschiede zwischen Mann und Frau sind nur ein erster Schritt hin zur Präzisionsmedizin oder Personalized Health». Denn es gebe noch andere Merkmale als das Geschlecht, die in der Medizin berücksichtigt werden müssten.
Lehrpläne werden angepasst
Der Durchschnittsmensch – früher oft ein weisser Mann mit 80 Kilogramm – habe jedenfalls ausgedient, sagt auch Santuccione. Und der Trend hat auch Medizin-Fakultäten der Schweizer Unis erfasst: Die Lehrpläne werden derzeit so angepasst, dass der Unterschied zwischen Mann und Frau kein Randthema mehr ist.