Die Schlagzeilen zum Gesundheitssystem haben zuletzt viele erschreckt: Depressive Jugendliche, die monatelang auf einen Behandlungsplatz warten müssen, überfüllte Notfallstationen und Personalmangel. Steckt das Gesundheitssystem in einer Krise? Die Präsidentin der Ärztevereinigung FMH, Yvonne Gilli, hat in der SRF-Samstagsrundschau Stellung genommen.
Der Mangel an Medikamenten ist laut Gilli ein internationales Problem und braucht auch eine internationale Lösung – und zwar auf höchster Ebene. Denn die Wurzel des Problems liege bei den Produktionsstandorten. Jedes europäische Land habe ein Interesse daran, wo Medikamente produziert werden. Auch die Preispolitik spiele dabei eine Rolle. Doch eine Lösung sei nicht von heute auf morgen möglich.
Seitens der Ärzteschaft würden dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) Vorschläge zum Medikamentenmangel vorliegen, sagte Gilli weiter. Im Hinblick auf Verschreibungen verwies sie angesichts des Mangels an Antibiotika auf die sorgfältige Praxis der Schweizer Ärztinnen und Ärzte. Hier sei die Schweizer Ärzteschaft weltweit führend.
Alarmsignale im Gesundheitswesen
Die langen Wartezeiten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und den allgemeinen Mangel an Kinderärztinnen und -ärzten bezeichnete Gilli als Alarmsignal und nicht unbedingt als Krise das Gesundheitswesens.
Aber nicht nur in der Kinder- und Jugendmedizin gebe es Alarmsignale. Auch ältere Menschen müssten teilweise ohne Hausarzt auskommen. Und diese Signale machten sich ebenfalls auf Personalseite bemerkbar.
Dass gerade Kinder und Jugendliche psychiatrisch unterversorgt seien, gehe auf die Tatsache zurück, dass zu wenig Fachleute ausgebildet worden seien. Das sei eine Folge des Sparzwangs durch die Politik in den Kliniken. Allgemein konstatierte die FMH-Präsidentin einen Ärztemangel in verschiedenen Fachrichtungen.
Hier müsse sich ihr Verband selber an der Nase nehmen. Seit zehn Jahren sei der Mangel bekannt, die Ärztevereinigung habe sich aber zurückgehalten, auf ihn hinzuweisen, um sich nicht dem Vorwurf des Egoismus auszusetzen.
Im Hinblick auf den neuen Einzelleistungstarif Tardoc und die ambulanten Pauschalen sagte Gilli, die geltenden Tarife datierten von 2004 und seien überholt. Ein Problem seien die falschen finanzielle Anreize, nämlich, dass ein Spezialist mehr verdiene als eine Hausärztin.
Mit der gemeinsamen Tariforganisation mit den Spitälern und Versicherungen sei Tardoc indessen auf einem guten Weg. Frühestens 2025 sollte Tardoc eingeführt werden.
Elektronisches Patientendossier umstritten
Angesprochen auf das elektronische Patientendossier, mit dem 40 Prozent der Ärzteschaft in der Grundversorgung gemäss einer Studie nicht arbeiten wollen, hielt Gilli fest, dieses sei in der aktuellen Form untauglich. Es müsse umgestaltet werden.
Für die Skepsis der Ärztinnen und Ärzte gebe es reale Gründe. Als Naturwissenschaftler seien die Mediziner längst elektronisch vernetzt. Statt einer Entlastung bringe das elektronische Patientendossier aber mehr administrativen Aufwand und gehe zulasten der Zeit für die Patientinnen und Patienten.
Auch bei der geforderten Qualitätsentwicklung ortete Gilli Mängel. Dabei gehe es um Zusatzleistungen, die auch bezahlt werden müssten. Genau deshalb brauche es die Tarifreform.