Im ländlichen Aargauer Fricktal ist ein Autofahrer zwischen Mumpf und Stein unterwegs. Auf der unbeleuchteten Strecke ausserorts sieht er eine Frau, die am Strassenrand sitzt. Er hält an, weil ihm die Situation gefährlich scheint. Die Frau rennt zu seinem Auto und bittet ihn unter Tränen, die Polizei zu rufen. Diese kommt vor Ort und bringt die Frau zur Kontrolle ins Spital, weil sie Schürfungen aufweist.
Die Betroffene habe nichts bei sich gehabt, keinen Ausweis, und war nicht registriert, sagt die Aargauer Kantonspolizei. Die Frau gab sich als kongolesische Staatsangehörige aus. Wie sie später der Polizei schilderte, sei sie zur Prostitution gezwungen worden. Sie hätte an jenem Tag zusammen mit drei anderen Frauen nach Deutschland gebracht werden sollen. Was klingt wie aus einem Krimi, ist am vergangenen Mittwoch passiert.
Der Transport der Frauen sei in einem schwarzen Van mit Schiebetüren erfolgt, so die Frau weiter. Zwei Männer seien als Aufpasser im Wagen gewesen. Während des WC-Halts auf dem Rastplatz auf der Autobahn A3 sei sie spontan geflüchtet und habe sich in der Dunkelheit versteckt. Die Frau ist nun in einer Schutzeinrichtung untergebracht. Die Polizei hat noch viele Fragen. Sie sucht unter anderem Zeugen und natürlich den schwarzen Van. Die Ermittlungen laufen.
Glaubwürdige Geschichte?
Die Polizei findet die Geschichte der Frau glaubwürdig. Es deute vieles darauf hin, dass ihre dramatische Geschichte stimmen könnte, sagt Bernhard Graser, Sprecher der Aargauer Kantonspolizei, auf Anfrage. Die Frau sei mutmasslich in der Westschweiz festgehalten worden, das sei aber noch nicht gesichert.
Wir wissen, dass die Dunkelziffer im Menschenhandel-Milieu riesig ist.
Dass sich jemand der Polizei offenbare, sei selten. Die Frau habe von einem professionellen Menschenhändler-Ring gesprochen. «Wir wissen, dass vieles läuft in diesem Milieu und dass die Dunkelziffer riesig ist», sagt Bernhard Graser, Sprecher der Aargauer Kantonspolizei gegenüber SRF.
Wenige Beweise
«Eine wichtige Voraussetzung, um Frauenhandel zu bekämpfen, ist die Identifizierung der Betroffenen. Dafür braucht es spezialisiertes Fachwissen», heisst es bei der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) auf Anfrage. Die FIZ ist in der ganzen Deutschschweiz für den Schutz und die Unterstützung von Opfern von Menschenhandel tätig. Sie arbeitet auch im Auftrag von Kantonen.
Polizei und Staatsanwaltschaft arbeiten mit der Fachstelle zusammen. «Auch die Zusammenarbeit zwischen den Stellen ist sehr wichtig, darum gibt es in vielen Kantonen, auch im Aargau, runde Tische gegen Menschenhandel», sagt Doro Winkler, Bereichsleiterin Fachwissen bei der FIZ.
Doch Menschenhandel nachzuweisen, ist nicht ganz einfach. Die Frauen, die im Opferschutzprogramm betreut werden, haben 30 Tage Zeit, um zu überlegen, ob sie mit den Behörden kooperieren wollen.
Im Jahr 2021 hat das Opferschutzprogramm Menschenhandel der Fachstelle Frauenhandel (FIZ) insgesamt 368 Fälle (2020 waren es 303) gezählt. Von diesen Fällen wurden 289 Personen (79 Prozent) als Opfer von Menschenhandel identifiziert. Die Mehrheit der Opfer waren Frauen.
In der Schweiz seien es in der Regel zwar oft Einzelpersonen, die mit Menschen handeln, schreibt das Bundesamt für Polizei. Es gebe aber auch kriminelle Netzwerke, die hier tätig seien. Weltweit werde mit Menschenhandel jährlich ein Umsatz von rund 150 Milliarden US-Dollar erzielt, schätzt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO).