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Menschenrechte in der Schweiz Europarat präsentiert eine lange Mängelliste

Das Wichtigste in Kürze:

  • Der Menschenrechtskommissar des Europarates hat den diesjährigen Bericht über die Menschenrechtslage in der Schweiz veröffentlicht.
  • Der Bericht bemängelt nebst anderem, dass in der Schweiz keine unabhängige Institution für Menschenrechte existiert.
  • Er kritisiert auch den Umgang der Schweiz mit Flüchtlingen, insbesondere, dass am Flughafen Zürich auch Kinder quasi interniert werden.

Drei Tage lang recherchierte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, in der Schweiz. Er traf Regierungsmitglieder und Parlamentarier, Wissenschaftler und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen.

Am Anfang seines Berichts gibt es vom 53-jährigen Letten durchaus etwas Lob: unter anderem für die lange demokratische Tradition und den soliden rechtsstaatlichen Rahmen.

Doch danach folgt mehr Kritik, als man hierzulande wohl erwarten würde. Es fängt beim institutionellen Rahmen an. Obschon sowohl die UNO als auch der Europarat das mehrfach moniert hätten, fehle in der Schweiz immer noch eine starke, gut finanzierte nationale Menschenrechtsinstitution. Aber immerhin, sagt Muiznieks: Es gehe nun voran.

Schweiz hat die Sozialcharta nicht ratifiziert

Muiznieks bemängelt auch, die Schweiz habe zwar die Europäische Sozialcharta unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Die Charta vertritt einen weitreichenden Menschenrechtsbegriff, der beispielsweise auch das Recht auf Arbeit oder auf Bildung fordert. Das ist in der Schweiz politisch stark umstritten.

Ein zusätzliches Gremium mahnt der Menschenrechtskommissar auch bei der Überwachung des neuen Nachrichtendienstgesetzes an. Es brauche zwingend eine von Regierung und Behörden gänzlich unabhängige Aufsichtsinstanz.

Mängel sieht der Vertreter des Europarats auch im Flüchtlingsbereich. Viel zu viele Asylbewerber erhielten bloss einen prekären, provisorischen Aufenthaltsstatus, obschon klar sei, dass sie nicht sofort oder gar nicht in ihre Heimat zurückgeschafft werden könnten. Besonders ins Auge stach Muiznieks, der Familien in der Transitzone des Zürcher Flughafens besucht hat, dass dort selbst Kinder quasi inhaftiert seien.

Volksinitiativen, die das Völkerrecht missachten

Als problematisch erachtet der Menschenrechtskommissar Volksinitiativen, die unvereinbar sind mit dem Völkerrecht, etwa ein Burkaverbot. Anders als manche Politiker hierzulande verlangt er jedoch nicht, dass sie für ungültig erklärt werden. Es reiche ein unabhängiges Expertengremium, das die Stimmbürger auf die Unvereinbarkeit hinwiese. So könnten sie in Kenntnis der Konsequenzen abstimmen.

Muiznieks' Mängel- oder Empfehlungsliste geht noch weiter. Ihm ist klar, dass sie innenpolitisch auch auf Kritik stossen wird. Er fordert aber, dass sich die Schweiz als traditionsreiche und wohlhabende Demokratie ehrgeizige Ziele setzen solle.

Muiznieks sagt es nicht ausdrücklich, deutet aber an, dass er hier deutlich strengere Massstäbe als etwa bei Europaratsmitgliedern wie Russland, der Türkei oder Aserbaidschan anlegt. Seine Aufgabe sei es, jeden Staat anzuhalten, ehrgeiziger zu sein. Vieles laufe gut hier. Doch das eine oder andere könne man noch besser machen.

Bundesrat nimmt die Kritik ernst

Stellungnahme Bundesrat
Vor der Veröffentlichung des Berichts hatte der Bundesrat die Möglichkeit, sich zu äussern. «Der Bundesrat nimmt in seiner Stellungnahme die Kritik grundsätzlich ernst, denn die Europäische Menschenrechtskonvention ist eine zentrale Vereinbarung», sagt Fredy Gsteiger, der diesen Positionsbezug studiert hat. Die Landesregierung gestehe sich ein, dass nicht alles ideal laufe und dass Entwicklungen zum Besseren noch möglich seien. Dies sei etwa im Asylbereich oder in der Überwachung des neuen Nachrichtendienstgesetzes der Fall. Allerdings mache der Bundesrat auch klar, dass er sich nicht reinreden lassen wolle, wie eine nationale Menschenrechtsorganisation in der Schweiz finanziert werden soll, was ihr Mandat sei und wie die Prioritäten gesetzt würden. Zu der Ratifizierung der Europäischen Sozialcharta hält der Bundesrat fest, dass es dafür derzeit im Parlament keine Mehrheit gebe.

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