«Eine ständige Angst, die einem immer im Nacken sitzt», so beschreibt die 24-jährige Aline ihre Angststörung. Sie hat Versagensängste und generelle Ängste, die wohl viele im Leben haben. Aber bei ihr sind sie besonders intensiv ausgeprägt und zeigen sich in einer körperlichen Anspannung.
Mir war schlecht, ich hatte Bauchweh und zitternde Knie
Begonnen haben die Symptome, als Aline 16 Jahre alt war. Sie hätte die Schule wechseln sollen und reagierte darauf am ganzen Körper: «Mir war schlecht, ich hatte Bauchweh und zitternde Knie», erzählt die Jus-Studentin in einem Park in der Stadt Zürich.
Heute hat Aline ihr Leben so weit im Griff. Dennoch leidet sie auch heute noch in Alltagssituationen, etwa beim Nachtessen mit Freundinnen: «Ich spüre den Druck, jetzt etwas essen zu müssen. Und plötzlich habe ich das Gefühl, ich könne keinen Bissen mehr essen und kann nur noch daran denken, wie ich hier wieder wegkomme.»
Markanter Anstieg zu früheren Jahren
Angststörungen sind vor allem bei jungen Frauen zwischen 15 und 24 Jahren weit verbreitet. Das zeigt die neuste Gesundheitsbefragung der Bevölkerung des Bundesamtes für Statistik: 18 Prozent der jungen Frauen litten 2022 unter Symptomen einer generalisierten Angststörung. Das ist ein markanter Anstieg zu Umfragen aus früheren Jahren. Grundsätzlich von psychischen Belastungen betroffen waren 29 Prozent der Frauen zwischen 15 und 24 Jahren. 2017 waren es erst 19 Prozent.
Ebenfalls schon länger von Angststörungen betroffen ist die 29-jährige Anna-Lena Rüfli. Als Jugendliche hat sie viele Orte vermieden, die ihre Angststörung auslösten: «Zum Beispiel Züge. Aber auch allgemein weggehen, wollte ich nicht mehr, weil ich glaubte, dann passiere es sicher wieder.»
Die junge Frau aus dem Kanton Aargau zog sich immer mehr zurück, bis sie den Sinn des Lebens nicht mehr sah: «Da dachte ich, jetzt ist höchste Zeit, etwas zu unternehmen». Zwei Monate war Anna-Lena Rüfli stationär in Therapie.
Dass immer mehr junge Frauen psychologische Hilfe brauchen, kennt Jugendpsychologin Irina Kammerer. Sie arbeitet am Psychotherapeutischen Zentrum der Universität Zürich. Als Grund nennt sie den ständigen Druck: «Mehr Druck in der Arbeitswelt, sehr starke Leistungsorientierung und mehr Druck in der Schule belasten junge Männer und Frauen.»
Männer reagieren mit Aggression, Frauen mit Rückzug
Junge Männer reagierten eher mit Aggression oder übermässigem Alkoholkonsum – «eine Reaktion gegen aussen», sagt Irina Kammerer. Junge Frauen hingegen reagierten gegen innen mit depressiven Störungen, Zwangsstörungen oder oft auch Angststörungen.
Die Angststörung darf mich gerne begleiten, aber heute bin ich diejenige, die sagt, wo es langgeht.
Die gute Nachricht sei, sagt Irina Kammerer, dass sich Angststörungen relativ gut behandeln lassen. Davon profitierten auch Anna-Lena und Aline.
Anna-Lena Rüfli brachte die stationäre Therapie zurück in die Spur. Heute arbeitet sie als Betreuerin von Menschen mit einer Behinderung. Dennoch ist sie bis heute in Therapie und nimmt Medikamente. Aber sie habe einen Umgang gefunden mit ihrer Angststörung: «Sie ist nach wie vor meine ständige Begleitung. Sie darf gerne mit dabei sein, aber ich bin diejenige, die sagt, wo es langgeht.»
Aline ist ebenfalls immer noch in Behandlung. Sie setze sich bewusst Situationen aus, die ihr unangenehm sind, um sich herauszufordern: «Ich möchte an einen Punkt kommen, wo ich Situationen nicht mehr nur ertrage, sondern sie auch geniessen kann oder zumindest entspannt sein kann.»